Die Quelle
noch mehr Menschenleben geopfert wurden. Die Bedingungen wurden vereinbart, sicherer Abzug nach Acre war zugesagt, vom Sultan mit seinem Ehrenwort bekräftigt. Doch sobald die Ritter dem Sultan das Burgtor geöffnet hatten, fielen die Mamelucken über die ahnungslosen Verteidiger her: Alle Ritter wurden auf der Stelle geköpft. »Wir wollen sie wissen lassen, was für einem Feind sie gegenüberstehen«, hatte damals einer der Feldherren des Mameluckensultans gesagt. Damit begann der
Vernichtungskrieg gegen die Kreuzfahrer. Doch jetzt war Waffenstillstand.
Safet bot den Anblick einer Geisterstadt. Der schöne Ort, einst an den Hängen des Berges unterhalb der Burgmauern gelegen, war von den Mamelucken dem Erdboden gleichgemacht worden. Nichts war wiederaufgebaut. Nur noch die Burg stand, und auch ihre dicken Mauern begannen bereits abzubröckeln. »Eines Tages reißen wir sie ein«, sagte einer der Mameluckenhauptleute, offenbar ein umgänglicher Mensch und nicht von der Art, daß er Gefangene enthaupten ließ. Über seinen glattrasierten Schädel zog sich eine tiefe Narbe hin, auf die der kleine Volkmar verwundert starrte. Der Hauptmann ließ Erfrischungen auf den Wehrgang bringen, wo ein kühler Wind von den Bergen her wehte. »Es ist wunderschön hier«, sagte einer der Mameluckenoffiziere auf Arabisch und deutete auf ein Dorf am Berghang gegenüber. »Sonderbar. In all den Kämpfen um Safet hat man dies Dorf wohl nie auch nur angerührt. Aber hier oben. Schlachten. Horngeschmetter. Enthauptungen.« Er sah Volkmar an, als bedauere er diese Tatsachen der Geschichte.
Die Pilger verlebten zwei Tage ritterlicher Vergnügungen bei den Mamelucken in Safet. Wettkämpfe im Bogenschießen wurden abgehalten, wobei die Mamelucken mit großem Vorsprung gewannen; in den Kampfspielen mit dem Schwert waren jedoch die Kreuzritter überlegen. »So bin ich zu meiner Narbe gekommen«, erklärte der kahlköpfige Hauptmann dem Knaben. »Eines eurer Schwerter war’s, in Tyrus.« Auch im Pferderennen um die Burgmauer maßen sich Christen und Ungläubige. Dabei waren die kleinen türkischen Pferde so sehr im Vorteil, daß die Kreuzritter auf ihren schwerfälligen Tieren kaum nachkommen konnten. »Aber auf einem langen Marsch, von dem es unmittelbar in die Schlacht geht«, bemerkte Volkmar, »sind unsere Pferde noch immer die besseren gewesen.« Der kahle Mameluck entgegnete jedoch: »Für Eure Art des Kampfes - ja. Aber für schnelles Vorstoßen und ebenso schnelles Zurückgehen, wie wir es machen, sind Eure Pferde nicht händig genug.« Graf Volkmar tauschte eines seiner schweren Schlachtrösser gegen ein leichtes, flinkes Pferd der Mamelucken ein. Der junge Volkmar war sehr stolz, als sein Vater sagte, er dürfe es zurück nach Ma Cœur reiten.
Jetzt stellte der Mameluckenhauptmann eine sehr kühne Frage: »Wie lange, glaubt Ihr, läßt der Sultan noch Eure Burg und die Festung Acre ungeschoren?« Volkmar kratzte sein glattrasiertes Kinn und sagte langsam: »Der Waffenstillstand, den wir letztes Jahr geschlossen haben, dauert bis über das Ende unseres Jahrhunderts hinaus. Ich nehme an.«
»Glaubt Ihr wirklich, daß man einen Waffenstillstand so lange aufrechterhalten kann?« fragte der Mameluck.
»Ja, das glaube ich. Schließlich ist es nur Euer wie unser Vorteil, wenn die Schiffe Acre anlaufen.«
»Zugegeben«, sagte der Mameluck, und es klang ehrlich. »Ihr und ich, wir wissen, daß man den Vertrag verlängern sollte. Zwischen uns ist alles in Ordnung. Aber die Genueser haben uns wissen lassen. ich selbst habe es in Kairo aus dem Munde eines ihrer Kapitäne gehört. Euer Papst predigt einen neuen Kreuzzug.«
»Ja«, antwortete Volkmar verdrießlich. »Dort drüben haben sie keine Ahnung.«
»Und wenn dann zehn Schiffe mit streitlustigen Rittern.«
Der Graf und der Mameluck sahen mißmutig hinab auf den See Genezareth, der jetzt rot schimmerte und dann wieder grün. Ein jüngerer Mameluck brach das Schweigen: »Ich bezweifle, ob der Waffenstillstand zehn Jahre halten wird.«
»Ich bezweifle es auch«, pflichtete Volkmar ihm düster bei.
Am nächsten Morgen hörte man in der Burg Lärm wie in vergangenen Zeiten: Rufe auf den Wehrgängen. Alles strömte heraus, denn auf der Gebirgsstraße waren die ersten Kamele von Musaffars Karawane zu sehen. Die Mamelucken freuten sich, denn die Ankunft der Karawane bedeutete Verpflegungsnachschub für die Besatzung. Das Tor wurde weit geöffnet, um die mehr als siebzig Kamele und ihre
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