Die Quelle
christlichen Namen Lukas kannte, alle Kennzeichen eines echten Juden gehabt hatte. Er beherrschte die Heilkunst. Er aß kein Fett vom Fleisch. Er konnte lesen und schreiben. Er kannte sich in geheimnisvollen Dingen aus. Und er war ungewöhnlich begabt in allen Geldangelegenheiten, die er für den Grafen Volkmar erledigte, solange dieser lebte, und dann für den Herrn Gunther. Dieser Verdacht verstärkte sich, und aus diesem Grund weigerten sich auch einige hochadlige Geschlechter wie die in Antiochia und Jerusalem, in das Haus von Ma Cœur einzuheiraten. Andere aber, die sahen, wie die Grafschaft mehr als alle übrigen gedieh, beeilten sich, ihre Familien mit ihm zu vereinigen.«
Graf Volkmar mußte lachen, wenn er an die alte Geschichte und an die »hochadligen Geschlechter« dachte, die sich nicht mit seinen Vorfahren hatten vermählen wollen. »Wo sind sie jetzt?« hatte er sich gefragt, als er die Chronik las. »Seit langem verschwunden.« Und lächelnd dachte er: Taleb ist ein so arabischer Name, so echt wie nur irgendeiner. Sie ist keine Jüdin gewesen. Eigensinnig war sie. Wollte Gott, ihre Nachkommen wären an jenem Abend ebenso eigensinnig gewesen, als sie sich von diesen Dummköpfen zu der Schlacht bei den Hörnern von Hattin überreden ließen. Er schüttelte den
Kopf. Erinnerungen. Gedanken. Und die Zukunft? Volkmar starrte auf den See.
Von Tiberias ritten die Pilger gen Norden nach Kapernaum. In dieser lieblichen, einsamen Landschaft mit den wohlbestellten Äckern, die zum Wasser hin abfielen, hatte Jesus Christus fünftausend Menschen mit nur fünf Broten und zwei kleinen Fischen gespeist. »Und sie aßen alle und wurden satt und hoben auf, was übrigblieb von Brocken, zwölf Körbe voll. Die aber gegessen hatten, waren bei fünftausend Mann, ohne Weiber und Kinder.«
»Kann es sich wirklich so zugetragen haben?« fragte der Knabe. Volkmar sah seinen Sohn erstaunt an. »Aber gewiß«, sagte er. »Wenn du heute einen Fisch im See fängst, kannst du sehen, daß ein Stückchen abgebissen ist. Der Heiland hat nämlich solche Fische wieder ins Wasser geworfen, als die Brocken eingesammelt waren. Ganz gewiß geschehen solche Dinge. Deshalb gehen wir ja auf Pilgerfahrt.«
Der Junge betrachtete mit großen Augen, was sein Vater ihm zeigte: »Die Fünftausend saßen hier. Und die beiden Fische hat man in einem Korb diesen Pfad heraufgetragen. Und der Heiland stand genau da, wo sich in dieser zerstörten Kirche der Altar befunden hat. Als ich ein Knabe war, konnte man auf dem Boden der Kirche noch das Bild der Fische sehen.« Volkmar führte seinen Sohn und die Ritter in die Kirchenruine und suchte im Schutt, bis er das Mosaik fand. Und die steinernen Fische waren für Volkmar so lebendig wie die Blumen auf den Feldern draußen. Hier hatte Jesus Christus gestanden. Hier hatte er die Fünftausend mit den zwei Fischen gespeist. »Deshalb heißt unser Land das Heilige Land«, sagte Graf Volkmar leise.
Weiter ging der Weg, die steilen Berge hinauf, bis sie in das Gebirgsstädtchen Safet kamen, wo sie Musaffar zu treffen hofften, der von Damaskus kommen sollte. Dieser Teil ihrer
Reise war der schmerzlichste, schmerzlicher noch als der Anblick der Hörner von Hattin, denn diese Schlacht hatte vor einem Jahrhundert stattgefunden. Der Verlust Safets aber schmerzte noch wie eine klaffende Wunde. Nachdem Volkmar den Geleitbrief beim Hauptmann der Mamelucken vorgewiesen hatte, ritten sie in den Hof einer einst großen Kreuzfahrerburg. Hochaufragend auf dem steilen Berg mit seinen tief abfallenden Flanken, war sie ehedem ein unübersehbares Zeichen der Christenherrschaft gewesen. Die Burg hatte die Straße von Damaskus nach Acre und außerdem einige weniger wichtige Pässe gesichert. Von den Wehrgängen konnte man den See Genezareth und die Ebenen im Norden sehen, und wenn die Signalfeuer auf dem höchsten Turm angezündet wurden, war man an der Küste des Mittelmeeres, in Saint Jean d’Acre, sicher gewesen, daß im Osten alles gut stand. Hier hatte sich im Jahre 1266 eine der großen Tragödien des Kreuzzugs abgespielt. Noch jetzt konnte jeder Christ nur mit Bitterkeit daran denken.
Der erste Sultan der Mamelucken hatte Safet belagert. Anfangs leisteten die Kreuzritter erfolgreich Widerstand. Doch dann sahen sie wohl ein, daß sie einen so weit vorgeschobenen Posten nicht zu halten vermochten - ein neues Blatt im Buch der Geschichte war aufgeschlagen. So boten sie die ehrenvolle Übergabe an, damit nicht unnötig
Weitere Kostenlose Bücher