Die Quelle
wiederzuerobern, diesen Plan aber von Jahr zu Jahr verschoben, bis ein neuer Papst den Bann über ihn verhängte. Darüber war Friedrich so erbost, daß er endlich im Jahre 1228 auf die lange Reise nach Saint Jean d’Acre ging. Die dortigen edlen Herren mußten zu ihrem Erstaunen feststellen, daß dieser deutsche Kaiser dem Islam beinahe ebenso nahestand wie dem Christentum. Er brachte einen mohammedanischen Ratgeber mit, mit dem er nur Arabisch sprach, und er bevorzugte mohammedanische Bräuche. Zudem stand er im Verdacht, im Sold der Juden zu stehen. Denn wenn man ihm mit dem so oft wiederholten Greuelmärchen kam, »heute morgen habe man zwei Christenkinder tot vor einer Synagoge gefunden«, enttäuschte er die Hetzer durch seine Weigerung, einen Massenmord zu genehmigen. Er sagte nur: »Wenn die Kinder tot sind, beerdigt sie.« Und stets war es so, wie der Kaiser vermutet hatte: Es gab gar keine toten Kinder! Friedrich war ein Mann, der schwer zu verstehen war, da er selbst so viel verstand. Wo immer er sich aufhielt, stets suchte seine wache Wißbegierde Neues zu erfahren, ob aus der Geschichte oder der Baukunst, ob über Medizin, Philosophie oder die Sitten des Landes. Er war der brillanteste (und kritischste) Kirchenhistoriker seiner Zeit und ein ebenso radikaler wie genialer Improvisator und Organisator in Wirtschaft, Verwaltung und Regierung. Kraft seiner Persönlichkeit setzte er die Gründung der Universität von Neapel durch. Er war ein Mann von grober deutscher Ehrlichkeit und zugleich einer der verderbtesten Männer seiner Zeit. Seine Ritter sagten von ihm: »Er hat den Islam studiert, aber nur das Falsche gelernt.« Zu Beginn seines Aufenthaltes in Acre nahm er zwei Söhne eines dort ansässigen Edelmannes als Geiseln fest, wartete, bis ihr Vater fort war, ließ sie dann an einem Kreuz aus Eisen so aufhängen, daß sie sich nicht bewegen konnten, solange, bis ihr Vater seine Versprechen eingelöst hatte. Seinen eigenen
Sohn trieb er zum Selbstmord. Da er im Kirchenbann war, verachteten ihn die anderen Fürsten. Es gab keinen elenderen Mann, der jemals einen Kreuzzug unternommen hatte, als diesen triefäugigen Deutschen. Auch die Moslimin achteten ihn nicht. Trotz der zahlreichen Beweise freundschaftlicher Gesinnung, die sie von ihm erhalten hatten, schilderten sie ihn in ihren Chroniken als einen kurzsichtigen kleinen Kerl mit rotem Gesicht, der nicht einmal Mann genug war, daß ihm der Bart wuchs, und der auf dem Sklavenmarkt kaum ein paar Besanten eingebracht hätte. Außerdem hielten sie ihn für einen Gottesleugner, seitdem sie ihn hatten erklären hören, er habe bei seinen Studien mit ziemlicher Sicherheit festgestellt, daß Mose, Jesus und Mohammed Betrüger gewesen seien. Diese Lästerung stieß auch seine eigenen Leute ab: Als Kaiser Friedrich nach dem Tode seiner kindlichen Frau das Königreich Jerusalem erbte, fand sich kein kirchlicher Würdenträger und kein Ritter, der ihm die Krone aufs Haupt setzen wollte. Fast allein ging er zur Kirche des Heiligen Grabes, ließ einen Diener die Krone auf den Altar legen, hob sie mit eigenen Händen auf und verkündete, daß er sich hiermit selbst zum König des Heiligen Landes kröne. Er war ein arroganter Mann, egoistisch, von widrigem Wesen und in jeder erdenklichen Hinsicht ein Hohn auf den Geist der Kreuzzüge. Im Gegensatz zu ihm, so überlegte Cullinane weiter, war Ludwig von Frankreich die Verkörperung des Ideals der Ritterschaft: charakterfest, fromm, ein treuer Ehemann und Vater, ein König ohne Tadel. Nach einem von guten Werken erfüllten Leben wurde er sogleich von der Kirche heilig gesprochen und war bald einer ihrer beliebtesten Heiligen. Wenn ich Franzose wäre, sinnierte Cullinane, würde ich mir den heiligen Ludwig zum Vorbild wählen. Im Kampf war er tapfer, in Verhandlungen ehrlich, in Gedanken rein und als Herrscher gerecht. Von wem sonst kann man das behaupten?
Es gibt nicht den geringsten Hinweis, daß er je sein Wort gebrochen hat, und wenn er Streitigkeiten schlichten mußte, hörte er stets die Meinung beider Parteien. Oft hat er, und zwar ohne jede Scheinheiligkeit, erklärt, seine einzige Aufgabe sehe er darin, in den Angelegenheiten der Menschen wie der Völker nur die christliche Liebe walten zu lassen. Es sind von ihm einige seiner Ansprachen am Vorabend der Schlacht erhalten -flammende Mahnungen, dem ritterlichen Eid Ehre zu machen; dann sei der Sieg gewiß. Er war ein großer, gutaussehender Mann, mager und etwas
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