Die Quelle
fiel, als er die Seinen zum See führte. Hier haben sie das Wasser erreicht.« Sie zeigten dem jungen Volkmar, wo sein Ahn gefallen war.
»War sein Sohn bei ihm?« fragte der Junge.
»Er war bei ihm«, antworteten die Ritter. »Jeder Graf Volkmar bietet dem Feind die Stirn.«
Vom See ging der Ritt weiter nach Tabarie. Die Wachen sahen voll Staunen die Ritter sich nähern - Geistern gleich kamen sie von den Bergen her geritten, in denen ihre Vorfahren gefallen waren. Die Wachen gaben Alarm. Der Statthalter selbst, ein Mameluck mit gewaltigem Schnurrbart, erwartete die Ritter am Tor. Sorgfältig las er den Geleitbrief aus Damaskus. Dann erst gewährte er den Pilgern Einlaß.
Tabarie war eine hübsche kleine Stadt, auf drei Seiten ummauert, an der vierten durch den See geschützt. Heiß und feucht war die Luft (denn der See und seine Umgebung liegen weit unter Meeresspiegelhöhe), aber eine kühle Brise wehte vom See her. Man nahm die christlichen Ritter sehr höflich auf. Die Araber, die den Großteil der Bevölkerung ausmachten
- es gab in Tabarie ganze sechs Mamelucken und etwa hundert Türken -, waren berühmt für ihre Gastfreundschaft, und zudem warteten alle gespannt auf Neuigkeiten aus Acre und Nazareth. Die Ritter legten ihre Rüstungen ab. Der Statthalter führte seine Gäste ans Seeufer. In bequemen Sesseln nahm man Platz, Krieger der mameluckischen Garnison reichten erfrischende Getränke. Dann schlug der Statthalter, seinen Schnurrbart streichend, vor, gemeinsam zu den heißen Bädern zu reiten, die in römischer Zeit die Stadt so berühmt gemacht hatten. Zum erstenmal sah der junge Volkmar hier Quellen aus der Erde sprudeln, deren Wasser so heiß war, daß man nicht einmal die Hand hineinhalten konnte. Wohlig räkelten sich die Pilger in den feuchtwarmen Räumen; mit dem Staub der Straßen schwitzten sie auch die Müdigkeit des langen Rittes aus. Nach dem Bad ging es zurück in die Stadt. Graf Volkmar dachte betrübt: Und das alles hat einmal uns gehört. Tabarie ist die Residenz eines christlichen Fürsten gewesen; die Ländereien im Umkreis von zehn Meilen haben ihm gehört. Und heiße
Bäder in Tabarie zur Winterzeit - das war das Erholsamste gewesen, das man sich denken konnte.
Graf Volkmar dankte dem mameluckischen Offizier für seine Liebenswürdigkeit. Der ehemalige Sklave verneigte sich mit Anstand. In diesem Augenblick rief Volkmar seinem Sohn zu: »Schau. ein Jude!« Der Knabe hatte noch nie einen gesehen.
»Ein paar von ihnen sind aus den Ländern der Franken zurückgekommen«, erklärte der Mameluck und musterte den Fremden nicht anders als etwa ein Pferd, das er abschätzt: ganz brauchbar, aber etwas sonderbar.
Der kleine Volkmar sah den Mann mit dem langen Bart und der Kappe auf dem Kopf staunend an, der da langsam und ein wenig schlurfend über die Straße ging, als suche er irgend etwas oder irgend jemanden. Der Mameluck rief den Juden auf Arabisch an. Der Bärtige kam zu den Rittern. Sein Arabisch war nicht gut, aber man verstand, daß er aus Frankreich gekommen war. »Warum?« fragte der schnurrbärtige Statthalter. »Weil diese Stadt den Juden heilig ist.«
»Warum?« erkundigte sich Volkmar.
»Weil unsere Heilige Schrift hier niedergeschrieben worden ist. und der Talmud von Jerusalem auch.«
»Was ist der Talmud?« wollte der Ritter wissen.
»Das jüdische Gesetzbuch«, erklärte der Jude. Dann ließen sie ihn gehen. Aus einem sehr merkwürdigen Grund war Volkmar froh, daß sein Sohn endlich einen Juden gesehen hatte, denn in den letzten zweihundert Jahren war keiner nach Ma Cœur gekommen. Wenn der Junge aber einmal älter wurde und die Chroniken lesen konnte, mußte er mit Sicherheit auf jene rätselhafte Stelle stoßen, die noch jeden Grafen Volkmar verwirrt hatte. Von der Hand eines unbekannten Priesters war vor fast zweihundert Jahren folgendes geschrieben worden:
»Und nach einer Weile sprachen die Menschen also: Auf ihrem Sterbebett hatte die Gräfin nur gesagt, daß der Christenglaube und der falsche Glaube Mohammeds Unsinn seien. In den Hallen der Burgen aber lief das Gerücht um, sie sei eine Jüdin gewesen, auf geheime Weise, und man erinnerte sich, daß ihre Freunde sie oft gefragt hatten: Warum legst du nicht deinen Namen Taleb ab und nimmst einen christlichen Namen an?< Sie aber hatte erwidert: >Weil ich als Taleb geboren bin, wäre es Narretei, meinen Namen zu ändern.< Und andere erinnerten sich, daß ihr Vater, den man unter dem von ihm angenommenen
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