Die Quelle
ihnen versicherten: »Dies Jahr gibt es wieder einen feinen Wettlauf.« Am Nachmittag wurden Ballspiele veranstaltet, es gab freien Trunk, und dann fand ein Pferderennen durch die Straßen und über den Marktplatz statt. Es war ein Tag ausgelassenen Vergnügens, an dem jedermann, zumal mitten in der Fastenzeit, seine helle Freude hatte. Das auf den späten Nachmittag angesetzte Spektakel aber sahen alle Christen von Podi und Umgebung am liebsten. Der Konstabler erhielt lauten Beifall, als er gegen fünf Uhr sechs stadtbekannte Dirnen aus dem Gefängnis holte und ihnen zusagte, daß jede, die unter den drei ersten das Ziel erreiche, den Rest ihrer Gefängnisstrafe nicht abzusitzen brauche. »Um zu gewinnen«, ermahnte er sie unter heftigem Augenzwinkern, »müßt ihr’s den fetten Juden schwermachen, sie behindern und ihnen ein Bein stellen, sonst sind sie vor euch da.« Die sechs Huren sagten, sie verstünden schon.
Die Menge empfing die Mädchen mit vergnügten Zurufen. Schon wurden Wetten abgeschlossen. Und nun warteten alle auf die eigentlichen Wettkämpfer. Um fünf Uhr, als der erste Sonnenuntergang des Frühjahrs das Kreuz der Kathedrale vergoldete, befahl der Herzog einem Trompeter, das Signal zu blasen. Schreiend machte der Pöbel einen Durchgang frei, der zu einem mit Seilen abgesperrten Teil der Piazza führte. Dann aber, als der Herzog in Richtung der Kathedrale ein Zeichen gab, wurde es ganz still: Aus dem Portal zog eine Prozession, Priester im vollen Ornat. Eindrucksvoll jeder einzelne, imponierend sie alle zusammen, so bewegten sich die Kleriker majestätisch über die Piazza und nahmen zu beiden Seiten des improvisierten Herzogsthrons ihre Plätze ein. Abermals blies der Trompeter. Jetzt brüllte die Menge, denn aus einer engen Gasse, die zum Judenviertel führte, kam ein buntscheckiger Zug, allen voran sechs Männer in langen braunen Gewändern mit aufgenähtem hellgelbem Stern.
Als erster erschien Rabbi Zaki, dieser lächerlich kleine und dicke Jude, nicht mehr als fünf Fuß drei Zoll groß und gut seine zwei Zentner schwer. Seine bloßen Füße patschten über die Steine, seine hohe rote Narrenkappe schlenkerte im späten Licht der Sonne. Bereits bei seinem Anblick brach der Pöbel in wildes Freudengeschrei aus. Hinter den Wettläufern - es war ihnen, obwohl die braunen Mäntel sie vorerst noch bedeckten, übel schon beim bloßen Gedanken an das, was ihnen bevorstand - kam die gesamte Bevölkerung des Ghetto. Denn jeder Jude, der nicht auf den Tod krank und durch einen Dominikanerpater entschuldigt war, mußte bei der
Demütigung seines Volkes zugegen sein.
Die Wettläufer wurden dorthin geführt, wo bereits die sechs Huren warteten. Eines der Freudenmädchen erhielt
kreischenden Beifall, als sie Rabbi Zakis Gewand
auseinanderzerrte, auf seine Hosen schielte und mit einer
zotigen Gebärde zur Menge hin schrie: »Ich hab’s gesehen.« Rachel und ihre drei Töchter, die in die ersten Reihen der
Judenschaft getrieben worden waren, blickten zu Boden, aber ein Barfüßerfrater, der die Juden zu beaufsichtigen hatte, befahl ihnen streng, aufzublicken. Die Mädchen gehorchten leider zu schnell, so daß sie mitansehen mußten, wie man ihrem lächerlichen Vater das Gewand abnahm, so daß er unter wüstem Gelächter des Mobs fast nackt im verblassenden Sonnenlicht dastand.
Der Herzog selbst richtete an die Parteien einige Worte: »Der Wettlauf soll gerecht sein. Er führt dreimal um die Piazza, den Corso hinab und zurück zur Kathedrale. Jedem Mädchen, das unter den drei Siegern ist, wird die Strafe erlassen.« Wieder jubelte die Menge. »Doch wenn ein Jude als einer der drei ersten ankommt, dann werden ihm ein Jahr lang Vorrechte gewährt. Lauft gut. Kümmert euch nicht um die Menge. Ich werde euch am Ziel erwarten.« Er neigte sich höflich gegen die Parteien, winkte dem Trompeter und zog sich zurück. Auf ein Zeichen des Dominikaners begannen Dirnen und Juden zu rennen. Ein Johlen: Gleich zu Anfang fiel ein dicker Jude hin. »Tölpel! Blödian!« schrien sie und bewarfen ihn mit Küchenabfällen. Er stand stolpernd auf und versuchte, die anderen einzuholen. »Gott sei Dank war es nicht Zaki«, dachte Rachel mit nicht eben freundlicher Gleichgültigkeit.
Dreimal rannten die Wettläufer um die Piazza, die Huren kreischend, die sechs dicken Juden schweigend. Die Zuschauer, die zu Beginn geschrien hatten, waren jetzt still vor
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