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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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ob Zaki dicker sei als Jacopo oder Jacopo etwas dicker als Salman. In allen jüdischen Familien begann man sich zu sorgen. Indessen ging das Mustern und Schätzen weiter, und je näher der einundzwanzigste März kam, desto ernstere Sorgen machten sich die wohlbeleibten Juden. Jede Familie stellte sich die bange Frage: »Ob dieses Jahr unser Vater gewählt wird?«
    Rachel, Rabbi Zakis Frau, brauchte sich allerdings über diese Frage nicht den Kopf zu zerbrechen. Denn Zaki war so umfangreich, daß er Jahr für Jahr gewählt wurde. Die Frage war nur, welche fünf anderen Juden in die Mannschaft kamen. Nicht geplagt von den Besorgnissen, die den anderen Frauen zusetzten, konnte Rachel daher mit ungeminderter Energie ihren armen Ehemann peinigen. »Warum bist du aber auch so dick?« quengelte sie das ganze Jahr hindurch. »Moses ist nicht dick. Und ist Meir vielleicht so dick wie du?« Nach zwanzigjähriger Ehe mit Rabbi Zaki war sie zu der nicht ganz unbegründeten Schlußfolgerung gelangt, daß er ein armseliges Exemplar von Mann sei. Er sorgte nicht gut für seine Familie. Er berechnete nie genug für seine Schusterarbeit und ließ sich von schlauen Italienern übers Ohr hauen. Und daß er kein berühmter Rabbi wurde, lag auf der Hand. Er war nichts als ein dicker Mann, ein fast das ganze Jahr hindurch bemitleidenswerter, im März aber ein würdelos behandelter Mann. Die Juden von Podi bildeten eine enge Gemeinschaft, denn anläßlich der Vertreibung des Jahres 1492 waren sie alle mitsammen aus Spanien nach Portugal geflohen und dann -nachdem die portugiesische Regierung die empörende Massentaufe angeordnet hatte - aus Lissabon nach Italien. Streng genommen waren Rabbi Zaki sein scharfzüngiges Eheweib und sämtliche Juden von Podi Christen, weil zwangsweise in Portugal getauft (einige hatten aus dem Mund geblutet, andere geschrien), doch einige gemäßigte Päpste hatten verfügt, daß die Kirche die Ergebnisse einer solchen Taufe nicht gutheißen könne und es den Juden von Podi deshalb freistehe, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, der letztlich ja ein Sproß der Heiligen Schrift sei. Der großmütige Herzog von Podi hatte den Zuzug der Juden begrüßt, da sie fleißige Kaufleute waren, die seinem Land neue Einkommensquellen erschlossen. Er hatte sie sogar dazu ermutigt, eine eigene Synagoge zu errichten, so daß die Verfolgungen in Spanien und Portugal unter der freundlichen Sonne Italiens allmählich in Vergessenheit gerieten. Einer der führenden Kaufleute von Podi war Avramo der Rotkopf, Rabbi Zakis Schwiegervater. Wenn die Juden der Hafenstadt sich ihren rührenden kleinen Rabbi ansahen, fragten sie sich immer wieder, wie es ihm eigentlich möglich gewesen war, ausgerechnet die Tochter des Kaufherrn zu ergattern. Rachel selbst hatte auf eine bessere Heirat gehofft als auf die mit Zaki, und häufig genug hielt sie es ihrem Vater und ihrem Mann vor: »Ich wußte bereits vor unserer Hochzeit, daß Zaki eine Null ist.« Ihr Vater dagegen hatte erklärt: »Ich glaube, Zaki wird ein guter Rabbi, und du sollst dich geehrt fühlen, daß er dich zum Weib nimmt.«
    Rachel fühlte sich jedoch keineswegs geehrt. Schon in Portugal, als Kind noch, hatte sie Zaki nur als »den Dicken« gekannt, den die anderen hänselten, und als heranwachsendes Mädchen hatte sie erlebt, wie er immer dicker und dicker wurde und keine ihrer Freundinnen ihm mit Verlangen nachblickte. Sich selbst überlassen, hatte er den Talmud studiert und war bei einem italienischen Schuhmacher in die Lehre gegangen. Der Mann hatte Zakis Eltern gewarnt: »Ihr verschwendet euer Geld. Zaki hat so dicke Finger, daß er nicht einmal die Nägel halten kann.« Und doch war es dem freundlichen Jungen gelungen, beides zu werden, Rabbi und Schuster.
    Die Juden von Podi vermochten wirklich nicht zu begreifen, warum ein Mann wie Avramo seine Tochter einem solchen Tölpel hatte geben können. Und als Rachel später selbst diese Frage aufwarf, erklärte er ihr: »Ich habe Zakis dickes Gesicht und seine Kulleraugen gesehen, und da wußte ich, daß er ein guter Mensch ist. Und gute Menschen geben gute Ehemänner ab.«
    Die Hochzeit hatte stattgefunden, und Rachel fand sich an einen Mann ohne Ruf gefesselt, der noch dazu in jedem Monat März nahezu unerträgliche Schande über sich und seine
    Familie brachte. »Warum ißt du aber auch so viel?« schrie sie ihn mit von Jahr zu Jahr wachsender Verzweiflung an. »Ißt Meir wie ein Schwein, Tag um Tag? Sag mir das

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