Die Quelle
schloß man sie in menschenunwürdige Wohnviertel ein und nötigte sie zu menschenunwürdiger Tracht. In regelmäßigen Abständen beschuldigte man sie, Christenkinder zu ermorden und ihr Blut am Passahfest zu verwenden. Man verleumdete sie, Brunnen zu vergiften und die Pest zu verbreiten, um die Christen zu dezimieren, vornehmlich aber sich als fromme Katholiken auszugeben, die heilige Hostie zu nehmen und sie heimtückisch unter der Zunge zu behalten, um sie später bei gotteslästerlichen Schwarzen Messen zu schänden. In einem Zeitalter zunehmender Freiheit waren die Juden zunehmender Unfreiheit unterworfen - immer neuen Beschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit, in ihrer Kleidung und vor allem in ihren Berufen. In diesem Goldenen Zeitalter der Entdeckungen gab es für die Juden lediglich den Strang und den Scheiterhaufen zu entdecken. Jedesmal, wenn ein Jude angeklagt wurde, das Kind eines Christen ermordet zu haben -und niemals gab es auch nur einen Beweis für die Anklage -, mußte eine ganze jüdische Gemeinde in einem fürchterlichen Blutbad ihr Leben lassen. Jedesmal, wenn sich in der Nähe eines jüdischen Wohnviertels ein Verbrechen ereignete, stürmten aufgehetzte Christen die Judenhäuser und verbrannten die Bewohner bei lebendigem Leib. Und alljährlich zu Beginn der Karwoche predigten in der ganzen christlichen Welt die Mönche mit solcher Schärfe gegen die Juden, daß die fanatisierten Kirchgänger aus ihren Domen und Kathedralen stürzten und alle Juden umbrachten, derer sie habhaft werden konnten, weil sie glaubten, solchermaßen Ihn zu ehren, der am Karfreitag den Kreuzestod erlitten hatte und an Ostern auferstanden war.
Warum aber haben die Christen damals, als alle Macht in ihren Händen lag, die Juden nicht ein für allemal ausgerottet? Eine merkwürdige Lehre, von christlichen Theologen aus Stellen des Neuen Testaments abgeleitet, hielt sie in Schranken. Diese in sich sonderbar widersprüchliche Lehre besagte, daß Jesus Christus Sein himmlisches Reich auf Erden nicht errichten werde, bevor nicht alle Juden zum Christentum bekehrt seien, daß andererseits jedoch hundertvierundvierzigtausend unbekehrte Juden übrigbleiben müßten, Ihn zu erkennen und von Seiner Wiederkehr Zeugnis abzulegen. Zwei Verhaltensweisen ergaben sich aus dieser Lehre: Man mußte einmal versuchen, die Juden zu bekehren, und zum andern die wenigen notwendigen, die Ihn ablehnten, in so offensichtlichem Elend dahinvegetieren lassen, daß jeder zu erkennen vermochte, wie es den Leugnern Christi ergeht. Das war der Grund, weshalb die Judenviertel zunahmen und die Judengesetze verschärft wurden. Das war der Grund, weshalb die Juden Jahr um Jahr unvorstellbare Unterdrückungen hinnehmen mußten. Es war, als lasse die Kirche ihnen das Leben, um sie an das Kommen des Messias zu mahnen, wie ein Mensch einen schmerzenden Zahn im Mund behält, um an seine Sterblichkeit erinnert zu werden.
Am expansiven Geist der Zeit hatten die Juden nur auf zweierlei Art Anteil: Zum einen ermutigte gerade dieser Zeitgeist sie dazu, auch weiterhin Geld auf Zins zu geben - um so am Leben zu bleiben. Und zum andern erschien 1520 eine Gesamtausgabe des Talmud im Druck. Die Christen hatten dieses Meisterwerk des Judentums so bitterlich gehaßt, es war von den geistlichen und weltlichen Machthabern in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland so oft auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, daß man nur noch von einer vollständigen Handschrift wußte, als es endlich in Druck gegeben wurde. Ein Wunder hatte diese Riesenleistung jüdischer Gelehrsamkeit gerettet - der Drucker in Venedig, der auf diese Weise das Gesetz des Judentums vor der Vernichtung bewahrte, war ein Christ. In jenen dunklen Tagen jedoch, als die Juden Europas auf den Scheiterhaufen verbrannten und in ihren elenden Wohnvierteln erstickten, ohne daß die christliche Welt sich moralisch entrüstete, leuchtete ein Licht auf. Sein Schein kam aus höchst unwahrscheinlicher Richtung, aus dem Bergstädtchen Safed in Galilaea.
Rabbi Zaki der Schuster war ein dicker Jude, und das war sein Unglück. Er lebte in der italienischen Hafenstadt Podi, wo er sich nach seiner Hochzeit im Jahre 1521 niedergelassen hatte. Und alljährlich brachte dort das Nahen des Frühlings den jüdischen Männern von Übergewicht Stunden der Angst. Von Anfang März ab spürten sie, wie ihre christlichen Nachbarn sie mit kritischen Augen musterten, die Fettpolster abschätzten und sich Gedanken darüber machten,
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