Die Quelle
gefälligst.«
»Der Allmächtige muß gewollt haben, daß ich dick bin«, konnte Zaki darauf nur erwidern. Er war ein freundlicher Fettkloß, ein Mann, der sein zänkisches Weib liebte, seine Töchter bewunderte, Freude an den gemeinsamen Mahlzeiten und Erfüllung in seinem Dienst als Rabbi fand. Da er klein und ungeheuerlich rund war, brauchte ihn niemand zu beneiden -im Gegenteil: Er belustigte alle. Sie sahen in ihm so etwas wie den verkörperten (freilich als Gelee verkörperten) guten Willen, einen fetten geistlichen Possenreißer. Er machte sich ganz gewiß nicht mit Absicht lächerlich; aber da er wußte, daß er nun einmal lächerlich wirkte, versuchte er erst gar nicht, gegen seine Natur anzukämpfen. »Der HErr wollte jemand haben, mit dem Er des Nachmittags lachen kann«, sagte er eines Tages zu seiner Frau.
»Er hat jemand bekommen, über den jedes Frühjahr die ganze Stadt lacht«, wütete sie.
»Ich habe mich aber doch nicht selbst so dick gemacht«, erwiderte er schwach. »Aber dazu beigetragen, jawohl!« schrie sie. »Seit Jahren frißt du wie ein Schwein.«
»Rachel«, bat er. »Nicht dieses Wort.«
»Ich nehme das Schwein zurück«, schimpfte sie. »Aber dick bist du doch«, jammerte seine unschöne Tochter Sarah. »Ich bin der Rabbi«, sagte er ruhig. »Und selbst wenn ich so dünn wäre wie Meir - die Christen würden mich doch wählen.« Dieser Gedanke - ein neuer, der sich ganz unbewußt in Rabbi Zaki geformt hatte und den er heute zum erstenmal vorbrachte
- machte seiner Frau wenigstens etwas Eindruck. Sie hörte auf, sich selbst zu bedauern, sah ihren Fettberg von Ehemann an, und eine flüchtige Sekunde lang verstand sie halbwegs, was er hatte sagen wollen. Doch noch beim Sprechen hatte er
Fischsauce auf den Backen, und schon war die Wirkung seines Arguments dahin.
»Mach nur so weiter!« klagte sie. »Iß und werde fett und mach, daß wir uns weiter deiner schämen müssen.« Die Mädchen weinten.
In Demut hörte Rabbi Zaki sich ihren Gram an, bis er schließlich sagte: »Sie werden mich wieder wählen. Und ihr werdet wieder dastehen und mir zusehen. Einen Ausweg gibt es nicht. Sie wählen mich aber, weil ich der Rabbi bin. Und ich denke, es ist besser, daß ich dick bin und daß sie über meine Fettleibigkeit lachen, und daß sie nicht lachen, weil ich der Rabbi bin. Oder möchtet ihr es anders haben?«
Selbstverständlich wählten sie ihn. Seit mehreren hundert Jahren schon hatten die Herzöge von Podi für die Unterhaltung ihrer Untertanen gesorgt, indem sie alljährlich zum Tag des Frühjahrsanfangs einen Karneval der Marktschreier, Gaukler, Narren und Tänzer veranstalteten. Auch wenn der Tag in die Fasten fiel, war er ein Tag des Vergnügens; seit einigen Jahren bildete den Höhepunkt des Spaßes der Wettlauf zwischen den dicken Juden und den Bewohnerinnen der Nachbarstraße, den Huren der Stadt. Für den Wettlauf, der im östlichen Italien mittlerweile berühmt geworden war, wurden die sechs dicksten Juden bestimmt. Bis auf dünne Unterhosen nackt, wurden sie barfuß zur Startlinie getrieben, wo sie zwischen den schlampigen, lärmenden Huren ihre Plätze einzunehmen hatten. Der Reiz des Wettlaufs, der Tausende selbst aus fernen Städten wie Ancona anzog, lag nicht allein in dem Vergnügen, die dicken Juden fast nackend durch die Straßen keuchen zu sehen, wobei die Bevölkerung sie mit allerlei Gegenständen bewarf (zwar nicht mit solchen, durch die sie zu Schaden kommen konnten, etwa mit Steinen, denn das war verboten, wohl aber mit harmlosen Dingen wie Eiern und mit Honig beschmierten Hühnerfedern); das Interesse am Wettlauf hatte noch einen anderen Grund. Die Höschen, in denen die fetten Juden laufen mußten, waren so beschaffen, daß den am Wege stehenden christlichen Frauen die Möglichkeit eines flüchtigen Blicks auf das geboten wurde, was der geheimnisumwobene Brauch der Beschneidung einem Manne antut.
Die Juden empfanden Nacktheit jeder Art als beschämend; aber in den dünnen Hosen, mit vor- und zurückwippendem Penis durch die Stadt laufen zu müssen, das war abscheulich. Nicht nur Rachel, auch alle anderen Frauen und die nicht am Wettlauf teilnehmenden Männer weinten um Israels willen.
Der einundzwanzigste März des Jahres 1541 war ein warmer, schöner Tag, und die Marktschreier und Gaukler machten schon in den Morgenstunden gute Geschäfte. Mitglieder der herzoglichen Familie bewegten sich gemessen durch die Menge und nickten feierlich, wenn die Städter
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