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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Höhle zur Quelle hinab, ein alter Mann, zufrieden mit den Kräften, die seine Welt bestimmten. Mit einem fast unheimlichen Ortssinn kannte er die Pfade, die durch den Wald führten, und die Stellen, wo das Rotwild äste. Sein Geist war noch rege, und noch immer konnte er den wilden Eber jagen. Er war so glücklich, wie ein Mensch es nur sein konnte, und mehr als die meisten seines Alters leistete er, ein Jäger, der die Tiere liebte und den Menschen nichts als Freude bereiten wollte. Wer ihn sah, mit seinen lustigen Augen und krummen Beinen, wurde selbst fröhlich gestimmt.
    Drei Jahre später sollte er allein in einem Dornen- und Pistaziendickicht stehen, zitternd vor Schrecken und unfähig, den Grund dafür sagen zu können. Inzwischen aber war ihm alles gelungen, was er angepackt hatte; er lebte mit seiner alten Frau in Frieden und Eintracht, sein Sohn hatte das Leben richtig angepackt, und seine Tochter war guter Hoffnung. Mit diesem Mann, in diesen drei blühenden Jahren, beginnt die Geschichte Makors, soweit wir sie zurückverfolgen können. Ur hieß der Mann. Als er die Quelle erreicht hatte, bückte er sich und spritzte das Wasser in sein Gesicht. Dann nahm er eine hölzerne, mühsam mit einem Feuersteinschaber ausgehöhlte Schale und trank daraus. Als er sie zur Seite stellen wollte, blickte ihm sein Gesicht aus der Quelle entgegen. Es war haarig, über den mächtigen Schultern sah er die kleinen, anliegenden Ohren, unter der niederen Stirn blitzten zwei blaue Augen wie kleine Sterne.
    Das Licht, das ihm aus seinen eigenen Augen dort im Wasser entgegenleuchtete, machte ihm Freude - er mußte lachen. Aber da fiel ein Steinchen, nicht größer als ein Bienenflügel, in die Quelle und ließ die Oberfläche sich kräuseln, so daß sein Spiegelbild verzerrt und ausgelöscht wurde. Ur erschrak, als das Wasser sich bewegte und seine Augen, seine Ohren, seinen Mund verschwinden ließ. Schnell sah er weg, aber sobald sich die Oberfläche wieder glättete, war auch sein Gesicht im Wasser wieder heil: Er war wieder Ur. Doch zitterte er bei dem Gedanken, daß eine unbekannte Macht sein eigentliches >Er< verändern, verzerren, verwischen könne. Dann aber lächelte er über sich selbst; so glücklich wie zuvor jedoch war er nicht mehr.
    Jetzt hörte er über sich ein leises Summen. Sicher war es eine Biene. Er ließ die hölzerne Schale fallen, blickte schnell hierhin, dahin - und als erfahrener Jäger sah er das Insekt sofort, das zum trockenen Wadi flog, dorthin, wo in der stärksten Regenzeit sich ein schlammiger Fluß zum Meer wälzte.
    In den abgestorbenen Bäumen des Wadi bauten die Bienen ihre Nester. Ur sprang auf und jagte dem Insekt nach, denn wenn er es einzuholen vermochte, konnte er wohl auch den nächsten Bienenstock finden. Mit geübtem Blick folgte er der flüchtigen Biene, bis er sicher war, daß er den richtigen Baum erspäht hatte. Dort blieb er reglos am Boden sitzen, bis er sah, wo die Bienen aus- und einflogen. Speichel tropfte aus Urs Mund. Er schlug sich ins Gesicht, um es auf die Schmerzen vorzubereiten, die ihm bevorstanden, bohrte seine mächtigen Füße in den Sand wie ein Tier, das sich zum Kampf bereit macht, und mit einem Satz sprang er auf den toten Baum zu und kletterte weit nach oben, ehe die Bienen ihn entdeckt hatten. Mit starken Händen riß er die abgestorbenen Stücke des Stammes weg. Das heftige Summen aufgestörter Bienen bestätigte ihm, daß es hier Honig gab; schnell griff er in die Wabe, tief drinnen im Baum - schnell, noch bevor die Bienen ausschwärmen und ihn von ihrem Schatz vertreiben konnten. Und nun stachen die Bienen zu! Fünfzig, hundert flogen ihm ins Gesicht, bedeckten seine Hände und suchten die ungeschützten Stellen seines Körpers. Sie stachen und starben, wenn sie gestochen hatten. Sie stachen, aber er ließ nicht nach, mit seinen taub werdenden Händen weiter an der Wabe zu reißen, von der er Stück um Stück auf die Erde warf. Als er kaum mehr sehen konnte, rutschte er endlich vom Baum hinab. Im Fallen zerquetschte er Hunderte von Bienen. Jetzt wischte er sich die Tiere vom Gesicht, zog die Bärenhaut aus und häufte darin die Wabenstücke auf. Dann lief er aus dem Wadi, so schnell ihn die krummen Beine tragen wollten, am ganzen Körper gepeinigt von heftigem Schmerz. Als er die Quelle erreichte, war sein Gesicht geschwollen wie ein Vollmond. Er konnte kaum aus den Augen sehen. Ein Kind aus der Höhle erblickte ihn und schrie: »Ur hat Honig gefunden!« Im

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