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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Weib an diesem Tage das Haus? Falls du ihn bei solchen Verrichtungen ertappst, so ist er eine Jude.
    Steige am Freitag zwei Stunden vor Sonnenuntergang auf dein Dach und beobachte alle Kamine der Stadt. Jeder, der bei Sonnenuntergang plötzlich zu rauchen aufhört, verrät einen Juden. Eile, seinen Namen zu erfahren.
    Wenn du das Haus deines Nachbarn betrittst, so suche zu erspähen, ob er sich die Hände öfter als die meisten Menschen wäscht. Wirft seine Frau, wenn sie Brotteig knetet, ein kleines Stückchen davon ins Feuer? Falls du etwas Derartiges entdeckst, so zeige deinen Nachbarn sogleich an, denn er ist ein Jude. Wiegt dein Nachbar in der Kirche, obgleich er vorgibt, ein wahrer Christ zu sein, seinen Kopf vor und zurück, beugt er sich manchmal in der Hüfte? Sagt er die Psalmen wie ein ehrlicher Mann auf, weigert sich am Schluß dann aber, das
    Gloria Patri zu wiederholen? Hört er mit besonderer Achtung immer dann zu, wenn ein Zeugnis aus dem Alten Testament gelesen wird? Scheint ihm die Zunge im Mund zu erlahmen, wenn er aufgefordert wird, Vater, Sohn und Heiliger Geist< zu sagen?
    Wenn er eines der genannten Dinge tut, so hast du einen Juden ertappt. Beobachte deinen Nachbarn mit verdoppelter Wachsamkeit bei der Austeilung der Heiligen Kommunion. Schluckt er die Hostie in ungesäumter Rechtschaffenheit wie ein wahrer Christ, oder versucht er sie heimlich im Mund zu behalten, um sie später dem Satan darzubringen? Oder läßt er sie hinter den Lippen liegen und schluckt sie erst schnell, wenn er merkt, daß du ihn anblickst? Wenn er eine dieser beiden Betrügereien ausführt, so suche seinen Namen zu behalten. Sei stets wachsam. Bist du dabei, wenn dein Nachbar stirbt, so sieh, ob er beim letzten Atemzug das Gesicht zur Wand dreht. Wird deinem Nachbarn ein Sohn geboren, so sieh, ob sein Weib vierzig Tage wartet, ehe sie die übliche Lebensweise wieder aufnimmt. Beobachte, ob das Kind heimlich mit einem Namen des Alten Testaments gerufen wird. Versuche eifrig zu erkunden, ob sein Sohn beschnitten ist. Und untersuche alles, was dein Nachbar tut, denn es mag dir gelingen, einen Juden aufzustöbern; und wenn du über diesen Teufel triumphierst, so ist dir große Gnade gewiß.
    Wenige Tage darauf geschah es, daß der Ratgeber Karls V. Königs von Spanien und Deutschen Kaisers, das Staatsratsmitglied Diego Ximeno, dessen Vorfahren elfhundert Jahre als Juden und im letzten Jahrhundert als zum Christentum Bekehrte in Spanien gelebt hatten, sich beim Essen von Schweinefleisch zufällig verschluckte. Aus Versehen ließ er das Stückchen Fleisch zur Erde fallen, sah, daß es beschmutzt war, und trat es halb unbewußt mit dem
    Absatz in den Boden. Ein mißgünstiger Nachbar beobachtete ihn dabei und behob tags darauf den letzten Zweifel, daß Diego Ximeno ein heimlicher Jude sei, denn er fand heraus, daß der stattliche Ratsherr sich im Verlauf eines einzigen Tages dreimal die Hände wusch, was er als gläubiger Christ nicht getan hätte.
    Folglich ging dieser treue Freund still und heimlich zur Inquisition und meldete: »Ich habe begründeten Verdacht, daß Diego Ximeno Jude ist.« Der Dominikaner, dessen Aufgabe es war, Anklagen entgegenzunehmen, hob die Augenbrauen; in den letzten Jahren hatten sich zwar einige recht prominente Bürger der Stadt in den Netzen der Inquisition verfangen, doch war bisher niemand von Diego Ximenos Rang festgenommen worden. Eines so hohen Herrn habhaft zu werden - das mußte dem Ruf des Ketzergerichts von Avaro zugute kommen! Die Richter des Inquisitionstribunals wurden verständigt. Eifrig befragte man den Gewährsmann. »Schon seit geraumer Zeit«, erklärte er, »habe ich Diego im Verdacht, ein heimlicher Jude zu sein; aber erst durch das Flugblatt und die Angaben, worauf besonders zu achten ist, habe ich erfahren, wie ich ihn ertappen konnte.« Das Tribunal selbst besaß eine wesentlich längere Liste über die Mittel und Wege, einen Juden zu entdecken, als die, deren Druck es finanziert hatte. Punkt um Punkt dieser Liste wurde dem ob seiner Wichtigkeit ganz aufgeregten Zeugen vorgelesen; auch über die Jahre seiner Freundschaft mit dem Ratsherrn hatte er zu berichten. Nach mehrstündiger Vernehmung war es allen klar, daß Diego Ximeno sich zu verschiedenen Zeiten beinahe sämtlicher Handlungen schuldig gemacht habe, die einen heimlichen Juden verrieten. Der Denunziant konnte seine höchst unbestimmten Beschuldigungen ungefährdet vorbringen, denn nach den Vorschriften für das

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