Die Quelle
die Zahl der Hinrichtungen steil in die Höhe.
Bezeichnenderweise wurde in den sechzig Jahren von 1481 bis 1541 in Avaro nicht ein einziger erklärter Jude durch die Inquisition hingerichtet. Wenn jemand bei der Verhaftung kühn zu sagen vermochte: »Ich bin ein Jude und seit jeher als Jude bekannt«, wurde er des Landes verwiesen, nicht jedoch verbrannt. Die spanische Kirche war angehalten, den Juden mit Schimpf und Schande auf die traurige Wanderschaft zu schicken, die das Neue Testament vorhergesagt hatte, aber sie ging ihm nie zu Leibe. In der gleichen Zeitspanne rottete die Inquisition von Avaro ungefähr achttausend Menschen aus, deren Vorfahren oder Angehörige Juden gewesen waren, die sich jedoch zum Christentum bekehrt, die Taufe genommen und als vollberechtigte Angehörige der Kirche gegolten hatten, insgeheim aber dem Glauben und dem Brauch des Judentums treugeblieben waren. Von diesen achttausend »Verrätern« hatte man mehr als sechstausend bei lebendigem Leib verbrannt. Da war das Mädchen Maria del Iglesia, dessen Familie seit dreihundert Jahren zu den Christen gezählt wurde. Maria del Iglesia verliebte sich in Raimundo Calamano und bekannte ihm in einem Augenblick zärtlicher Vertraulichkeit, daß sie und die Ihren Passah feierten. Stracks lief der Verlobte zur Inquisition, und drei Tage vor der Hochzeit überraschten die Häscher im Haus der Familie del Iglesia einundvierzig Juden bei gemeinsamem Essen von Mazzot - den ungesäuerten Broten des Passahfestes. Alle kamen auf den Scheiterhaufen. Da war der namhafte Wissenschaftler Tomas de Salamanca, der Lehrer der Jugend von Avaro. Eines Tages stürzte sein neunjähriger Sohn auf die Straße und schrie: »Mein Vater hat mich geschlagen. Er fastet an Jom Kippur.« Jom Kippur aber war der Tag der Versöhnung - der heiligste Festtag der Juden. Nach einem Verfahren, das nicht weniger als sieben Jahre dauerte, starben dreiundsechzig Bekannte, Freunde und Mitarbeiter des Gelehrten den Flammentod. Besonders beängstigend erschien die Tatsache, daß sich unter den geständigen Juden siebzehn Nonnen befunden hatten, die im Kloster an den jüdischen Bräuchen festgehalten hatten, ferner dreißig Mönche, sieben Weltgeistliche und zwei Bischöfe. Die Kirche war von innen her gefährlich verseucht; nur sorgfältigste Untersuchung vermochte sie zu schützen. Deshalb machte der Prozeß gegen Diego Ximeno, den Ratgeber des Königs, nur langsam Fortschritte.
Zu Beginn des dritten Jahres wurde Ximeno erneut vor das Tribunal geführt. Es verfügte nun über ein umfangreiches Aktenbündel mit Material über die Verbindungen des Angeklagten zum Judentum. Zeugen aus fernsten Gegenden, aus der italienischen Stadt Podi und der deutschen Stadt Gretsch, hatten ihn belastet, und die Richter waren nun völlig davon überzeugt, es mit einem heimlichen Juden zu tun zu haben. Ihre Aufgabe bestand jetzt darin, ihn, der nach wie vor leugnete, zum Geständnis zu bewegen sowie dazu, andere Bürger von Avaro zu benennen, die möglicherweise ihr übles Tun ebenso erfolgreich wie er zu verbergen gewußt hatten. Vier Tage wurde er aufs eingehendste verhört, und da er verstockt blieb, hatte das Gericht keine andere Wahl mehr: Es mußte ihn der Folter übergeben.
Unverzüglich wurde Ximeno in das unterirdische Gewölbe geschleppt, das seit langem dem Zweck diente, die Angeklagten geständig werden zu lassen. Dort unten war man nicht, wie mancher vielleicht vermutet, brutalen Henkersknechten ausgeliefert, die nach Belieben quälen durften. Keineswegs! Vielmehr wurde Diego Ximeno einem erfahrenen und geduldigen Priester überantwortet, der seit vielen Jahren solche peinlichen Verhöre unter ständiger Mitwirkung eines kundigen Arztes leitete. Und der wiederum wußte ebenfalls aus reicher Erfahrung, welche Martern der menschliche Körper ohne Todesfolge zu ertragen vermochte. Im Kerker der Inquisition von Avaro starben nur wenige Menschen an den Foltern.
Die Handlanger allerdings, die dort unten die drei zugelassenen Torturen verabfolgten, waren abgehärtete Fachleute. Sie hatten im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Kniffen erprobt, mit denen man die Widerstandskraft jedes heimlichen Juden unfehlbar brechen konnte. Schon bevor Diego Ximeno in ihr Verlies kam, wußten die Folterknechte bereits, daß er ein besonderer Fall war, an dem sie ihre Fähigkeiten zu beweisen hatten. Entlockten sie ihm ein Geständnis, so belohnte man sie; mißlang es ihnen, so wurden sie gerüffelt. Es war
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