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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Inquisitionsverfahren wurde er dem Mann, den er anzeigte, niemals gegenübergestellt. Weder erfuhr Ximeno, wer gegen ihn ausgesagt hatte noch wessen er beschuldigt war. Am Schluß des Verhörs dankte der das Tribunal leitende Priester dem Nachbarn und schloß, nachdem dieser gegangen war, die Sitzung mit der Bemerkung: »Endlich haben wir einen wirklich Großen. Das wird uns zu Ruhm und Ehre gereichen.«
    Noch am selben Nachmittag drangen uniformierte Wachen der Inquisition in Ximenos Amtsräume ein, verhafteten ihn, ohne einen Grund anzugeben, und schleppten ihn in eine enge, schmutzige unterirdische Zelle, wo er vier Monate lang, völlig von der Außenwelt abgeschnitten, festgehalten wurde. Die Inquisitoren wußten sehr genau, daß sie ihr Verfahren gegen einen solchen Mann mit Vorsicht in die Wege zu leiten hatten. Gewiß - Ximenos Vorfahren waren vor hundert Jahren noch Juden gewesen, aber der Ratsherr hatte großen Einfluß bei Hofe, und seit seiner Verhaftung waren zahlreiche Eilkuriere zwischen Avaro und Wien unterwegs gewesen. Schließlich war das Ketzergericht so weit, seinen Gefangenen zu verhören
    - ebenso feierlich wie geheim. Da Ximeno aber niemals erfuhr, wessen man ihn eigentlich beschuldigte, konnte er auch nichts gestehen. Weder am zweiten noch am dritten Tag kam man weiter, so daß am vierten Tag das Gericht feststellte, im Fall Diego Ximeno habe man es mit einem heimlichen Juden zu tun, den zu überführen außerordentlich schwierig zu werden versprach. Darum wurde er wieder in Einzelhaft gebracht. Den Rest des Jahres 1540 und das ganze Jahr 1541 schmachtete er im Kerker und mußte während dieser Zeit erhebliche Summen für seinen Unterhalt bezahlen - und für das Zusammentragen weiterer belastender Beweise. Wie auch immer Ximenos Fall enden mochte, er bedeutete, und dessen war sich der Angeklagte wohl bewußt, seinen finanziellen Ruin.
    Das Inquisitionstribunal von Avaro konnte sich ein so bedächtiges Vorgehen leisten, denn seine Arbeit war von großer Wichtigkeit. Ehe die Inquisition in Spanien zur Macht gelangte, hatte sie sechs oder sieben Jahrhunderte lang der Kirche und der Christenheit als notwendige Waffe zum Schutz vor zahlreichen Häresien gedient. Im ersten halben Jahrtausend ihrer Wirksamkeit war sie eine im allgemeinen nicht sonderlich bösartige Institution gewesen. Aber mit der Ernennung des Tomas de Torquemada zum Großinquisitor von Spanien und mit der Erhöhung der Inquisition zu einer sowohl vom Papst wie vom Kaiser unabhängigen Körperschaft war sie zu einem Instrument des Terrors entartet: In einem Zeitraum von siebzehn Jahren wurden in Spanien etwa einhundertzwanzigtausend Menschen als der Ketzerei schuldig hingerichtet. Nachdem Torquemada gestorben war, sah es so aus, als wolle man etwas milder verfahren. Doch da verkündete Martin Luther in Deutschland die gefährlichste aller Irrlehren - selbst jeder Schwachkopf vermochte jetzt einzusehen, daß die wahre christliche Kirche durch den Protestantismus in schwerste Gefahr gebracht wurde. Und was beinahe ebenso ärgerlich war: Gewisse Christen, wie dieser Erasmus von Rotterdam, schrieben Bücher, in denen sie die Kirche höchst listig verspotteten, und als ob diese Gefahr noch nicht genüge, stellte man zu allgemeiner Überraschung fest, daß jüdische Familien, deren Vorfahren sich vor mehreren Jahrhunderten hatten taufen lassen, insgeheim den Bräuchen ihres alten jüdischen Glaubens anhingen. So war die Kirche von außen wie von innen in arge Bedrängnis geraten, und nur die selbst dem Papst keinerlei Rechenschaft schuldige Inquisition konnte hoffen, die Ketzereien auszurotten, die verwerflichen Bücher zu verbrennen und die Lutheraner und die heimlichen Juden aufzuspüren.
    Die amtlichen Zahlen des Inquisitionsgerichts von Avaro beleuchten die Reaktion der Kirche auf die Gefahr, der sie sich gegenübersah. In den zwei Jahrhunderten vor Torquemada waren in Avaro nur vier Personen mit dem Schwert hingerichtet worden - arge Feinde der Kirche, die nicht gewillt waren, bußfertig ihre schweren Sünden zu widerrufen. Doch von 1481 bis 1489, unter der Geißel des Torquemada, ließen die Ketzerrichter von Avaro elftausend Häretiker hinrichten. In dem darauffolgenden ruhigeren Zeitabschnitt fiel die Anzahl der Verurteilten auf weniger als zwanzig im Jahre, seit 1517 jedoch, seit dem Beginn der lebensgefährlichen Bedrohung des alleinseligmachenden Christenglaubens durch Luther und durch das Eindringen der Werke des Erasmus, ging

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