Die Quelle
Jude war, hatten sie doch! Daß er sich weigerte, es zu gestehen, war geradezu lächerlich.
Von den Foltern des dritten Tages blieb nichts in Ximenos Gedächtnis haften. Sie unterschieden sich in keiner Weise von den vorausgegangenen, denn die Inquisition gestattete ihren Handlangern nicht, einem Menschen Schnittwunden beizubringen, ihn zu blenden oder sich an seinen Geschlechtsteilen zu vergreifen. Wenn ein Gefangener angesichts von Strick, Wasser und Feuer stumm blieb wie Ximeno, war es erlaubt, ihn mit diesen drei Mitteln fast umzubringen, nicht zugelassen war jedoch, mehr zu tun. Nach der dritten Befragung stand der Arzt bei dem am Feuer wie leblos Daliegenden und sagte: »Mehr verträgt der da nicht.« Der Dominikaner sah auf den verkrümmten, von Blasen bedeckten Leib und rief: »Warum gestehen sie nicht, warum ersparen sie sich diese Todesqualen nicht?«
»Glaubt Ihr, Pater, daß der da wirklich Jude ist?« fragte der Arzt. »Anfangs war ich dessen sicher«, antwortete der Dominikaner. »Aber nach dem.« Er wandte sich ab.
Ausgangs 1542 - Ximeno hatte nun fast drei Jahre in Einzelhaft zugebracht, und noch immer wurden, Woche um Woche, die Kosten für Miete und Verpflegung von seinem Vermögen einbehalten - suchte ihn der Dominikaner in seiner Zelle auf.
Mit traurigem Blick sagte er: »Diego, morgen ist der Tag des Gerichts. Du wirst auf dem Scheiterhaufen sterben.«
Der Gefangene schwieg. Flehend sprach der Priester auf ihn ein: »Diego, um Gottes Barmherzigkeit willen, ich bitte dich, gestehe, damit der Henker dich auf dem Scheiterhaufen erdrosseln kann, ehe das Feuer angezündet wird.« Ximeno schwieg. Erregt rief der Priester: »Diego! Zwinge uns nicht, das Furchtbare zu tun. Schon ist deine Seele in Gottes Händen. Laß den Körper wenigstens in Frieden scheiden.« Ximeno schwieg. Der Priester ging.
Am Sonntag, um vier Uhr früh, betraten zwei junge Dominikaner die Zelle. Sie brachten einen sackleinenen Kittel, den Diego Ximeno anlegen mußte. Darüber streiften die beiden Priester einen langen gelben Umhang. Kleine rote Teufel waren daraufgenäht, die Ketzer und heimliche Juden in die Hölle stießen. Schließlich drückten sie auf den Kopf des Gefangenen einen großen spitzen Hut, gelb mit roten züngelnden Flammen. »Folge uns, Ratsherr«, sagten die beiden jungen Ordensbrüder aus Avaro, die in Ximenos glücklicheren Tagen oft um seine Hilfe nachgesucht und sie stets bereitwillig erhalten hatten.
Am Gefängnistor gab man Ximeno einen brennenden Wachsstock in die Hand, zum Zeichen dessen, daß er den Flammentod sterben sollte. Und dann schob man ihn in die Prozession der Verurteilten. Achtundachtzig Sünder waren es, barfüßig wie Ximeno: Dreiundsechzig, geringerer Vergehen gegen die Kirche geständig, so des Lesens in den Büchern des Erasmus; ihnen blieb der Tod erspart für ein Dasein in Elend und Ausgestoßensein, in Armut, unter dem Verbot jeden ehrlichen Gewerbes und unter dem Bann der Kirche. Neunzehn hatten schwere Verbrechen eingestanden: daß sie ihren Sohn Mose genannt oder sich geweigert hatten, Aal zu essen; sie sollten verbrannt, im letzten Augenblick jedoch erwürgt werden und so dem lebendig Verbranntwerden entgehen. Sechs aber, die gleich Diego Ximeno es abgelehnt hatten, sich zum Judentum oder zum Luthertum zu bekennen, mußten den Flammentod sterben, ohne die Gnade des Erdrosseltwerdens. Es war eine lange, von den Würdenträgern der Kirche angeführte Prozession. Und es war ein noch längerer Tag der Predigten, der Gebete, der Anschuldigungen. Mehr als vierzigtausend Menschen drängten sich auf der Plaza, um dem feierlichen »Akt des Glaubens« beizuwohnen, dem »Auto da Fe«, denn in der ganzen Umgegend war verkündet worden, daß allen, die daran teilnehmen wollten, besonderer Ablaß gewährt werde, da sie an diesem Tage sehen konnten, wohin der Pfad der Irrlehre führt.
Am späten Nachmittag kamen die Inquisitoren endlich zu den Fällen derer, die verbrannt werden sollten. Zur Rechtfertigung dieser Strafe wurden Jesu Christi eigene Worte angeführt, wie sie im heiligen Evangelium des Apostels Johannes aufgezeichnet stehen: »Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und müssen brennen.« Doch sobald eines der Urteile nach dem andern verlesen worden war, verließen die kirchlichen Würdenträger, feierlich jede weitere Verantwortung von sich weisend, den Schauplatz, während die Gefangenen dem
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