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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Jüdengasse.
    »Es ist kaum zu glauben!« rief Isaak, als die Juden der Gasse sich um ihn sammelten.
    »Was schreibt er denn?«
    »Er nennt es: >Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei<. Und ich vermochte meinen Augen nicht zu trauen, als ich es las.« Bedachtsam zitierte er Luthers kraftvolle Worte:
    »>... Denn unsere Narren, die Päpste, Bischof, Sophisten und Münche, die groben Eselsköpfe, haben bisher also mit den Juden gefahren, daß wer ein guter Christ wäre gewesen, hätte wohl möcht ein Jude werden. Und wenn ich ein Jude gewesen wäre, und hätte solche Tölpel und Knebel gesehen den Christenglauben regiert und lehren, so wäre ich ehe ein Sau worden denn ein Christen. Denn sie haben mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde, und nicht Menschen ... Und wenn wir gleich hoch uns rühmen, so sind wir dennoch Heiden, und die Juden von dem Geblüt Christi: wir sind Schwäger und Fremdlinge; sie sind Blutfreund, Vettern und Brüder unsers Herrn. Darumb wenn man sich des Bluts und Fleischs rühmen sollt, so gehören je die Juden Christo näher zu, denn wir ... Auch hats Gott wohl auch mit der That beweiset, denn solche große Ehre hat er nie keinem Volke unter den Heiden gethan, als den Juden...<«
    Isaak blickte auf. Die Zuversicht, die er in den eifrig lauschenden Gesichtern sah, glühte auch in ihm. »Möge der HErr dem Luther den Sieg geben«, rief er. »Wenn Luther gewinnt, wird er die Jüdengasse einreißen. Denn hört nur, wie er fortfährt:
    >Darum wäre mein Bitt und Rath, daß man säuberlich mit ihnen umging ... Aber nu wir sie nur mit Gewalt treiben und gehen mit Lügentheidingen umb, geben ihnen Schuld ... Item, daß man ihnen verbeut unter uns zu arbeiten, handthieren, und andere menschliche Gemeinschaft zu haben, damit man sie zu wuchern treibt; wie sollten sie das bessern? Will man ihnen helfen, so muß man nicht des Papsts, sondern christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben, und sie freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit sie Ursach und Raum gewinnen, bei und umb uns zu sein...<
    Die mitfühlenden Worte begeisterten die Juden, und einer faßte ihrer aller Hoffen in die Worte zusammen: »Er wird uns arbeiten lassen.«
    Gerade aber war Rabbi Elieser durch das Eisentor gekommen. Er sah den Menschenauflauf, trat hinzu und hörte noch die letzten Worte aus der Botschaft des Mönchs. Auch er verspürte Hoffnung. Da er aber ein vorsichtiger Mann war, bat er, die Schrift sehen zu dürfen. Schweigend überflog er sie, versuchte zu erraten, welche Absichten Luther wohl dabei im Auge gehabt haben mochte, und gelangte zu einer ernüchternden Schlußfolgerung: Die Juden täten klug daran, mit ihren Erwartungen nicht allzu sehr auf Luther zu bauen. Und das sagte er auch. »Wieso?« fragte Gottesmann. »Er verlangt doch eindeutig, daß die Juden menschenwürdig behandelt werden müssen.«
    »Das tut er«, gab Elieser zu.
    »Dann sollten wir ihn unterstützen, meine ich«, sagte Isaak, und aus der Schar ringsum hörte man Zustimmung. »Falsch«, widersprach Elieser.
    »Wie kannst du das sagen?« fragte sein Oheim, der erste Geldverleiher der Stadt, ein kluger Mann.
    »Die Kirche kennen wir«, antwortete Elieser, »und wir wissen, wie sie uns Juden behandelt. Diesen Mönch, diesen Martin Luther, kennen wir nicht.«
    »Lies aber doch seine Worte, Rabbi«, warf einer der Männer ein. »Ich habe sie gelesen, und ich verstehe, was Martin Luther jetzt, da er uns gegen seine eigene Kirche auszuspielen wünscht, im Sinne hat. Wie aber wird seine Einstellung sein, wenn er siegt? Wird er nicht darauf bestehen, daß wir zu seinem Glauben übertreten?«
    Anfangs vermochten Eliesers Gedanken niemanden zu überzeugen, denn, wie ein Jude bemerkte: »Nach der langen Nacht unserer Unterdrückung kommt Martin Luther und spricht: >In eurem Verhalten gegen die Juden seid ihr eher den Tieren gleich als Christen.< Ich sage: Vertraut auf Luther und hofft auf seinen Triumph.«
    »Nein«, entgegnete Elieser schroff, »von den Juden dieser Stadt wird Luther keine Unterstützung erhalten. Wir wollen uns keinen neuen Gegner schaffen zum Ersatz für den alten.«
    Er lieh sich die Schrift aus. Schon auf dem Weg zu den zwei winzigen, stickigen Zimmern, in denen er eingezwängt mit seiner Frau, seinem kleinen Kind, seiner Schwiegermutter und zwei Tanten wohnte, war er sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Aber als er die Streitschrift zu Hause noch einmal Wort für Wort durchgegangen war, rief er seine

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