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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Schnitte waren so unerwartet schmerzhaft, das Blut schoß so plötzlich hervor, daß Abulafia fast ohnmächtig wurde. Er bezwang sich jedoch, indem er flüsterte: »Narr! Denk an Ximenos Füße!«, und mit nie zuvor erprobter Kraft vollendete er seine Beschneidung. Jubelnd stieß er das Fenster auf und sprach mit lauter Stimme das heilige Gebet der Juden: »Höre, Israel, der HErr, unser Gott, ist der Einzige Gott!« Vorübergehende sahen zu ihm auf, als sei er ein jüdischer Muezzin, der sie in seine Moschee rufen wolle. »Ximeno, ich bin ein Jude! Ich bin Jude!« frohlockte er. Und nach vielen Jahren kam er nach Safed. Er brachte ein Buch mit.
    Der dritte Jude, der die lange Pilgerfahrt nach Safed antrat, ging weder aus reiner Angst, wie Rabbi Zaki, noch aus Liebe zur Kabbala, wie Doctor Abulafia. Ihn trieb eine stärkere Kraft: die Schmach und Schande, die seine Umwelt ihm antat. Im Jahre 1523 hatten die aufsteigenden, zu Nationalstaaten geeinten Länder Spanien, Portugal, Frankreich und England ihre Juden bereits vertrieben. Deutschland dagegen, das noch für Jahrhunderte uneins blieb, vermochte nicht als nationale Einheit zu handeln, und so begannen sich hier jene Haßgefühle gegen die Juden aufzustauen, die später zu so barbarischen Ausbrüchen geführt haben. Köln beispielsweise hatte seine jüdische Bevölkerung 1426 ausgewiesen, die freie Reichsstadt Frankfurt am Main hingegen sie behalten. In Augsburg, Nürnberg und Ulm gab es seit langem keine Juden mehr, während die Stadt Gretsch am Rhein jedoch nach wie vor ihre Jüdengasse hatte. Innerhalb dieses Ghettos erfreute sich niemand größerer Achtung als Rabbi Elieser bar Zadok, ein grundgelehrter Mann aus dem bedeutenden Geschlecht Hagarsi ha-Aschkenas; seine Vorfahren waren vor tausend Jahren aus Babylonien eingewandert und Grützenmacher gewesen. Leute, die den hochgewachsenen Rabbi noch nicht kannten, waren immer wieder überrascht ob seiner jungenhaften Streiche und seiner Liebe zum guten Bier. So setzte er bei seiner Hochzeit mit der Weberstochter Lea, der hübschesten Jüdin in Gretsch, alle Bewohner der Jüdengasse in Erstaunen. Denn er tanzte die ganze Nacht hindurch und trank Bier mit jedem, der ihm Bescheid tun wollte; im kalten Morgengrauen aber begab er sich mit einigen gelehrten Juden in die Synagoge, wo er bis zum Einfallen der Nacht aus dem Talmud vortrug, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu versprechen. »Ja, und deine junge Frau?« fragten ihn seine Freunde. Er lächelte und entgegnete: »Lea und ich sind für ewig verbunden. Eine Nacht, zugebracht im Tanz mit Freunden, und ein Tag, zugebracht zu Ehren des Talmud, das ist für uns beide kein Verlust.«
    Elieser bar Zadok war das anerkannte Oberhaupt der jüdischen Gemeinde und der Richter der Jüdengasse. Ihm war mehr Bewegungsfreiheit gestattet als allen anderen Juden in Gretsch; auch er mußte zwar die für das Judenviertel geltenden Bestimmungen befolgen, doch gelang es ihm als einzigem, sie mit Würde zu tragen. So zwang ihn das Gesetz, den Judenhut aufzusetzen, jene kegelförmige, fast drei Fuß hohe Kopfbedeckung von roter Farbe und mit gekrümmtem Rand, der Teufelshörner darstellen sollte. Wer mit solchem Hut durch die Stadt ging, war schon von weitem als Jude zu erkennen. Außerdem mußte der Rabbi, wie alle Juden, ein fast bodenlanges, grobwollenes Gewand tragen. Mitten auf dem Rücken war ein hellgelber Ring aufgenäht, der ganz überflüssigerweise den Träger dieses Gewandes nochmals als Juden auswies, ebenso wie ein gleicher, nur etwas kleinerer Ring vorn über dem Herzen. Das gelbe Zeichen der Schmach verkündete jedem: »Hier kommt ein Jude!« Manche meinten, der Kreis stelle eine Münze dar und sei eine Verhöhnung des einzigen Berufes, der den Juden noch erlaubt war. Die meisten aber wußten, daß er an die heilige Hostie gemahnen sollte, die bei der Kommunion ausgeteilt wird. Denn es wurde den Juden nachgesagt, daß sie die Hostien stahlen und schändeten. Mehr als jeder andere den Juden auferlegte Zwang diente der gelbe
    Fleck dazu, die ehrlichen Leute von ihnen fernzuhalten. Und wenn die Knaben den Juden Steine nachwarfen, so taten sie es nicht zuletzt deshalb, weil die gelben Kreise am Gewand der langsam Dahinschreitenden so gute Zielscheiben abgaben. Gewand, Hut und gelber Ring gaben jedem, der sich mit ihnen zeigen mußte, das Aussehen eines Hexenmeisters - Anlaß genug für den Pöbel, den solchermaßen Gezeichneten durch die Gassen zu hetzen. Elieser aber

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