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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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es hatte einst Urs Vater einen harten Kampf gekostet, ihre Sippe umzubringen). So lachte er nicht, als sie beharrlich fragte: »Was sind deine Gründe?«
    »Wo sollen wir leben, wenn wir die Höhle verlassen?« fragte er abwehrend. »In einem Haus«, antwortete sie, »mit einem Dach darüber und mit Wänden ringsum.«
    »Der erste Sturm wird es umwerfen«, prophezeite er. »Meines Vaters Haus haben die Stürme nie umgeweht!«
    »Ihr hattet dort keine solchen Stürme wie wir hier«, brach er ab und duldete keine Widerrede mehr. Zu seinem Befremden sah er jedoch einige Tage später seine Frau und seinen Sohn bei der Quelle arbeiten, als er am frühen Morgen aufbrach, die Jäger auf die Fährte eines grauen Rehs zu führen. »Was macht ihr da mit den Steinen?« wollte er wissen.
    »Wir bauen ein Haus«, antwortete sie. Er sah, daß sie mit den Steinen einen Kreis von gut fünf Schritt Durchmesser ausgelegt hatten, zuckte die Achseln über so viel Eigensinn und ging mit seinen Jägern in die Sümpfe. Aber am Abend, als er zur Höhle zurückkehrte, war an der Quelle schon ein beachtlicher Berg Steine zusammengetragen und der Anfang eines festen Baues zu erkennen. Vier Tage später - gerade kam er wieder von der Jagd zurück - fand er seinen Sohn dabei, auf der Steinmauer eine Wand aus Baumstämmen zu errichten, die er im Wadi geschlagen hatte. »Was tust du da?« fragte er.
    Sein Sohn gab darauf eine Antwort, die gar nicht nach der Art seines Vaters war: »Wenn der Baum uns Wände gibt, sollen wir sie auch nehmen.« Die Frau schleppte Binsen und Schilf aus dem Wadi, um daraus ein dichtes Dach zu flechten, unter dem die Familie Schutz vor der Sonne finden konnte. Aber was Ur da sah, war nicht nach seinem Sinn.
    Bei anbrechender Dunkelheit holte Ur die Seinen zur Höhle zurück, wo er mit lebhaften Worten von der heutigen Jagd berichtete. Aber er beendete seine Erzählung viel früher als sonst, denn er war besorgt über das, was seine Frau und sein Sohn taten. Er liebte seine Höhle, die so kühl war und so nahe an der Quelle lag. Gewiß, es wimmelte von Läusen, und es stank. Doch das Feuer war warm, und da war die Geborgenheit in der Gemeinschaft mit den anderen. Siebzigtausend Jahre lang hatten Urs Ahnen und Urahnen hier gehaust. Davon wußte Ur nichts, aber er war auf die spärlichen Zeugnisse ihres kurzen und dumpfen Lebens gestoßen. Er konnte sich entsinnen, wie er als Knabe in einer entlegenen Ecke ein Skelett entdeckt hatte, gebettet in eine Felsennische, wo Regenwasser den festen Kalkstein ausgehöhlt hatte. Später hatte er einmal im engen Teil des Stollens einen Faustkeil gefunden, zurechtgeschlagen aus einem Stück Feuerstein von irgendeinem noch halb tierischen Vorfahren Urs vor mehr als zweihunderttausend Jahren. Und im Lauf seines Lebens war dem Alten etwas vom Geist dieser Höhle aufgegangen, etwas von jener in sich geschlossenen Gemeinschaft, die ihre Mitglieder schützend umfing und alle anderen ausschloß. Die Höhle gab jenen Kraft, die in ihr lebten, und der abwegige
    Gedanke seiner Frau und seines Sohnes, an der Quelle ein Haus für eine kleine Familie zu bauen, stieß ihn unbewußt ab. Die Menschen sollten zusammenleben, sollten ihren Geruch wahrnehmen können, sollten einander den Honig heimbringen.
    Ganz besonders liebte Ur den Augenblick, wenn ein Dutzend Männer aus der Höhle zur Jagd aufbrach, zwölf Männer, von einem einzigen Willen beseelt, der so oft sein eigener war. Er konnte sich erinnern, wie er schon als Knabe die älteren Jäger mit seinem ungewöhnlichen Spürsinn und seiner Fähigkeit überrascht hatte, vorauszusagen, wo die Tiere sich versteckt hielten. »Komm mit und zeig uns, wo der Löwe sein Lager hat«, so hatten sie ihm oft zugerufen. Er hatte sie westwärts geführt, bis zum Brüllenden Meer, stets war er auf der Fährte des Löwen geblieben, bis er auf ein Dickicht deuten und rufen konnte: »Dort ist er!« Und in entgegengesetzter Richtung hatte er Pfade bis zum Flüsternden Meer erkundet und seine Männer auf die Suche nach Wild geführt, das in wilder Flucht auf und davon ging, bis Ur und seine Horde es mit unbarmherziger Schlauheit stellten. Hatten die Männer aus Urs Höhle die Fährte eines Löwen entdeckt, so war es für sie nichts Ungewöhnliches, drei oder gar vier Tage lang die Fährte zu halten, bis sie das Tier endlich in ein Gestrüpp trieben, wo sie ihm mit Speer und Pfeil zu Leibe gehen konnten. Das Schönste an der Jagd aber war es für Ur, den Wildeber

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