Die Quelle
Bindungen verknüpften Gesellschaft hatte ihren Ursprung damals, als Urs Sohn die wilden Getreidegräser zähmte.
Urs Frau erkannte als erste, welchen Wandel das heraufführen sollte, was ihrem Sohn gelungen war. An einem Tag, da der Weizen reifte, stand sie auf dem Felsen und sah ihren Mann von den Sümpfen zurückkehren. Mit den andern Jägern schleppte er einen großen Eber heran, der gleich zerlegt werden sollte. Die Männer sangen:
»Ur führte uns in die Sümpfe, wo der weiche Boden beißt.
Er nahm uns mit in die Dunkelheit, wo sich die Vögel verbergen.
Ur fand das funkelnde Auge des Ebers in der Dunkelheit.
Er war es, der rief: Jetzt! Jetzt!<«
Das Lied war erfreulich zu hören für die Frau, deren Mann es besang, aber als sie die Jäger näherkommen sah, am reifen Weizen vorbei, da begriff sie plötzlich, daß in Zukunft Männer wie Ur nicht mehr im Sumpf umherstreifen würden, abenteuerlustigen Knaben gleich, sondern näher am Haus bleiben und sich um den Weizen kümmern. Etwas wie Trauer überkam sie. Weinen hätten sie können über die auf ihren Sieg in der Jagd auf den Wildeber so stolzen Männer, denen von nun an ihre Einfalt verloren gehen mußte, weil ihr ganzes Leben sich wandeln mußte um der Pflege eines dünnen Halmes wegen. Sie sah sie nicht mehr in die Wälder und Sümpfe ziehen zur Jagd auf Hirsch und Eber. Und doch - wie hatte sie ihren tapferen Mann geliebt, damals, als er, jung noch, die Jäger hinausführte. Jetzt spürte sie für ihn den Schmerz, den er noch nicht kannte.
Kaum war ihr bewußt geworden, welcher Wandel da sich anbahnte, spürte sie dunkel, daß noch ein anderes sich ankündigte, ein so Übermächtiges, daß sie keine Worte finden konnte, es auszudrücken. Sie, die sich bei der Zähmung des wilden Weizens als so entschlossen und so vorausschauend gezeigt hatte, begann nun als erste über die unsichtbaren Kräfte nachzusinnen, die auf den Menschen einwirken. Und wie sie die Folgen des Feldbaus auf Männer wie ihren Ur schnell erkannt hatte, so fühlte sie sich nun, wenn auch undeutlich, Kräften verbunden, die stärker waren als die Kraft der Jäger.
Zehntausende von Jahrhunderten hatten sich die nahe der Quelle lebenden Menschen, fast tierhaft noch, auf die Kräfte ihrer Umwelt eingestellt, unter Mühen zwar, doch so, daß sie zu leben vermochten. Im Wechsel von eisiger Kälte und glühender Hitze hatten sie gelernt, mit diesen Kräften zu leben, die sie nicht verstanden und von deren Zusammenhängen sie nichts wußten. Sie hatten ihnen keine Namen gegeben, aber sie kannten sie als Ursprung äußerster Macht. Unter bitteren Schmerzen hatten sie das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod erfahren müssen, und voller Angst waren sie darauf bedacht, es zu bewahren. Nachts, wenn die gewaltigen Gewitter über den Berg Karmel nach Süden zogen, mußte wohl der Geist des Gewitters dem Menschen zürnen und ihn vernichten wollen. Wie sonst wollte man den blendenden Blitz erklären, der einen Baum spaltete und Wälder in Brand steckte? Wie sonst wollte man dem Nachbarn den plötzlich herabrauschenden Wolkenbruch erklären, der sich in das Wadi ergoß und alles vor sich herschwemmte? Wie sonst konnte ein zuvor unbeweglicher Felsbrocken, viel größer als ein Mann, mit der Flut davonstürzen und einen Menschen unter sich begraben? Der Geist des Gewitters - anders ließ es sich nicht erklären - war zornig über irgendwelche Taten der Menschen und nahm nun selbst Rache. Und war es mit dem Wasser anders? Manchmal liebte es die Menschen und erhielt sie hilfreich am Leben; manchmal grollte es ihnen und blieb fort, bis die Menschen fast zugrunde gingen. Selbst das Wasser der Quelle verhielt sich so: Jetzt zog es sich zürnend in die Tiefe einer unbekannten Höhle zurück, bis die Menschen vor Durst fast starben, dann wieder sprudelte es freudig auf. Die Luft; der Hauch des Todes; der dörrende Wind von Süden; der Geist, der den Leib einer Frau öffnet, einen neuen Menschen ins Leben zu holen; der Baum, der Früchte trägt oder sie vorenthält - alles ringsum, was wichtig war für die Menschen, hatte seinen eigenen Willen, richtete sich heute gegen sie und wollte ihnen morgen wohl.
Nichts war bisher erdacht worden, diese bald bösen, bald guten Kräfte zu versöhnen. Zu jenen frühen Zeiten opferte man noch nicht geliebte Kinder einem Gott des Gewitters, seine Gunst zu gewinnen, noch wurde dem fürchterlichen Eber Menschenblut dargebracht, seine Feindseligkeit zu besänftigen. Es gab
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