Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
weiterzureden. »Jahre später erkrankte ein Spanier auf der Durchreise in Alexandria. Sie brachten ihn zu mir. Er sagte: >Abulafia? War da nicht ein abtrünniger Christ, ein Jude namens Abulafia in Avaro?< Und obwohl ich in Sicherheit war, begann ich zu zittern. > Jener Abulafia ist davongelaufen und hat Frau und Kinder der Inquisition überlassen.< Ich faßte den Arm des Mannes, um nicht umzusinken; und da erriet er, wer ich bin. Obwohl er sehr krank war, rannte er entsetzt davon. Ich lief ihm nach, packte ihn und warf ihn zu Boden. Die Menge versammelte sich um uns. Er machte sich los. Er zeigte auf mich.«
    Von der Erinnerung überwältigt, brach Doctor Abulafia in fassungsloses Weinen aus und vermochte erst weiterzureden, als der dicke Rabbi Zaki ihn getröstet hatte. »Meine Frau ist lebendig verbrannt worden. Mein älterer Sohn ist lebendig verbrannt worden. Mein jüngerer Sohn ist unter der Folter gestorben. Die Kinder kannten das Wort Jude nicht einmal.«
    Gleich dem kranken Mann in Alexandria wich Rabbi Zaki zurück. In Saloniki hatte er viele Juden aus Spanien und Portugal kennengelernt, welche die Foltern der Inquisition erduldet hatten. Solche Berichte erschreckten ihn nicht mehr. Aber niemals hatte er einen Mann getroffen, der, mochte er noch so verkommen gewesen sein, seinen Hals auf Kosten von Frau und Kindern gerettet hatte. Nein - er vermochte es sich nicht einmal vorzustellen, wie einer seine Familie auch nur verlassen konnte. Und doch fühlte er sich trotz seines unwillkürlichen Abscheus nicht berechtigt, einen Mann wie Abulafia zu richten. Kein Wort des Tadels kam über seine Lippen. Deshalb traf ihn die nächste Frage des großen Rabbi unvorbereitet: »Zaki, habe ich das Recht, deine Tochter zu heiraten?« Zu seiner eigenen Verwunderung hörte Zaki sich »Nein« sagen. An jenem Tag sprachen die beiden nicht mehr über die Angelegenheit. Als aber Zaki nach Hause kam und seine unschöne Tochter Sara sah, quälte ihn das Gewissen. Allmächtiger! rief er sich selbst zu. Da hatte ich nun eine Gelegenheit, ihr einen Mann zu beschaffen, und habe nein gesagt. Eine Welle von Selbstbezichtigungen und Reuegefühlen stürzte sich auf ihn. Als Rabbi zwar konnte er nicht umhin, Doctor Abulafias Verhalten streng zu beurteilen. Frau und Kinder im Stich lassen und damit zum Anlaß ihrer Todesqual zu werden - das bedeutete die schwerste Sünde, die ihm je zu Ohren gekommen war, schwerer vielleicht als das Abtrünnigwerden, denn es verstieß gegen die einfachsten Grundsätze der Menschlichkeit. Dennoch: Je mehr er darüber grübelte, desto größer wurde seine Verwirrung.
    Seine Bestürzung erreichte ihren Höhepunkt, als Doctor Abulafia ihn aufsuchte und in moralischer Verzweiflung
    Rachel und Zaki fragte: »Wollt ihr mir eure Tochter Sara zur Ehe geben?«
    »Ja!« rief Rachel.
    »Er muß die Antwort erteilen«, antwortete Abulafia, auf Zaki weisend. »Er sagt ja!« rief Rachel zuversichtlich. »Nein«, sagte Zaki.
    »Prüfe dein Herz«, bat Abulafia und ging. Während er kummervoll die enge Straße hinaufstieg, konnte er Rachel kreischen hören.
    Drei Tage lang war im Laden des Schuhmachers die Hölle los. Sara, der dieser vornehme spanische Rabbi vom ersten Tag an in die Augen gestochen hatte, weinte, bis ihr teigiges Gesicht häßlich rot war. Sie beschuldigte ihren Vater, er habe ihr Leben zerstört. Rachel war sachlicher: »Er ist wahnsinnig geworden. Wir sollten uns einen Araber mieten, der ihn erdolcht.«
    Angesichts des Sturms, den Zaki entfesselt hatte, ließ er den Kopf hängen; dem moralischen Problem jedoch wich er nicht aus. Dadurch, daß Abulafia seine christliche Frau im Stich gelassen hatte, war er aus der Sphäre der Liebe hinausgetreten, und obgleich Rabbinen heiraten sollten, hatte der schöne Spanier recht daran getan, es zu unterlassen. Zaki bedauerte, die Frage jemals aufgeworfen zu haben, und mehr noch, daß er von seiner Tochter gesprochen hatte. Es war Zakis Gewohnheit, in schwierigen Fällen die Weisen zu Rate zu ziehen. Ihre Bücher waren ihm noch immer hilfreich gewesen. Er ging deshalb zur Synagoge und holte sich sein Lieblingsbuch. Ziellos blätterte er die Seiten um, bis er auf den Satz stieß, mit dem Maimonides die Talmudstelle kommentiert, die seine Ansicht zusammenfaßt: »Die Thora spricht in der Sprache lebendiger Menschen.« Die Gesetze waren den Menschen übergeben worden, und nicht die Menschen dem Gesetz. Theoretisch machte Abulafias
    Verhalten ihn ungeeignet für eine

Weitere Kostenlose Bücher