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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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halbe Dutzend Männer zusammen, die dem Buch zu seiner Durchschlagskraft verhelfen sollten. Dank ihnen erfreute es sich lange anhaltender Wertschätzung in Deutschland, Polen und Rußland und bot die Grundlage für eine völlig neue Deutung des jüdischen Glaubens. Der Sohar beeinflußte alle, die sich mit ihm befaßten, und Doctor Abulafia, als Oberhaupt der Kabbalisten von Safed, legte die Grundzüge in einer lichten, überzeugenden Sprache dar. Beim Weiterschreiten zur zweiten und dritten Stufe mystischer Weisheit allerdings wurden seine Ausführungen logisch unzusammenhängend, aber brennend vor Bilderreichtum und Intuition. Einmal, als eine Flut unverständlicher Worte ihm gleich einem Wasserfall in den Bergen von Safed entstürzte, entschuldigte er sich: »Ein Wort über die Welt des höchsten Mysteriums äußern heißt den Schlußstein eines Gewölbes herausbrechen. Keiner weiß, von welcher Seite her der nächste Stein fallen wird.« Seine Schüler baten ihn, seine Reden systematisch geordnet niederzulegen; doch er entgegnete: »Wo sollte man beginnen in einem Gebiet, das weder Anfang noch Ende noch Bestimmung hat? Wenn ihr mir lange genug Gehör schenkt, werdet ihr eine Ahnung erlangen von dem, was ich zu sagen versuche, und mehr als eine Ahnung besitze auch ich nicht.« Zu andren Zeiten dagegen sprach er mit einer fast tödlichen Klarheit, mit einer Einsicht, die er auf dem Wege des persönlichen Leides und durch allumfassende Gottesschau gewonnen hatte. »Wenn siebzig von uns in diesem Raum die Thora studieren, zeigt sie uns siebzig verschiedene Gesichter, denn jeder von uns sieht aus den Worten des HErrn seine eigene Vorstellung von Schönheit scheinen. Ich aber sage euch, daß die Thora nicht ein Gesicht hat und nicht siebzig Gesichter, sondern sechshunderttausend Gesichter, für jeden Juden eines, der dabeistand, als der Heilige, gelobt sei Er!, unserem Lehrer Mose das Gesetz gab. Und wenn ihr die Fesseln eurer Seele löst, seid ihr frei, eure eigene Thora unter den sechshunderttausend zu finden.«
    Unter Abulafias Zuhörern befand sich auch Rabbi Zaki. Ihn allerdings ergriffen die Worte in anderer Weise: Wenn die Darlegungen allzu schwer verständlich wurden, war er in der Lage einzuschlafen, und so schnarchte er manchmal, denn zu mystischen Gedankenflügen vermochte er sich nicht aufzuschwingen. Eines Vormittags aber wies Abulafia die Studenten, die sich über den schlummernden Schuhmacher lustig machen wollten, zurecht: »Ich glaube, unser schlafender dicker Freund umschreibt besser als meine Worte, was ich sagen möchte. Rabbi Zaki hat das Gesicht der Thora nicht gesehen, aber bis ins Herz der Thora geblickt. Und im Herzen der Thora hat er das eine Gebot gefunden, auf dem Thora, Talmud und Judentum beruhen: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.< Durch Zufall weiß ich, daß Rabbi Zaki vergangene Nacht bei Rabbi Paltiels kranker Frau gewacht hat. Er bedarf des Schlafes, und kein Mann in diesem Raum ist würdig, ihn aufzuwecken.« Der Grund, weshalb Rabbi Zaki Abulafias Vorlesungen gern besuchte, wenngleich er sie nur selten verstand, war der, daß er in der Synagoge sitzen und sich angenehmen Gedanken überlassen konnte: Ein so vornehmer Rabbi wie Abulafia sollte eine Frau haben. In ganz Safed und auch in Saloniki kann ich mir keine Frau denken, die besser zu ihm passen würde als meine Sara. Eines Tages im Jahre 1549 - der spanische Doctor hatte die letzten Fragen der Zuhörer beantwortet - wartete Zaki, bis er mit Abulafia allein war. Und nun fragte er geradezu: »Doctor, warum nimmst du nicht meine Tochter Sara zur Frau?«
    Doctor Abulafia setzte sich. »Sara?« fragte er. »Kenne ich Sara?«
    »Du mußt sie gesehen haben. Sie zeigt sich oft mit meinem Weib.«
    »Ach, Sara! Ja«, sagte Abulafia und schwieg sodann.
    »Der Talmud lehrt uns, daß jeder Rabbi ein Weib haben muß. Und ich versichere dir, Sara ist ebenso vortrefflich wie ihre Mutter.«
    »Das ist sie sicherlich.«
    »Und selbst, wenn du meine Tochter nicht nehmen kannst, Doctor Abulafia, mußt du dir eine Frau suchen. Denn viele von uns meinen, dein Einfluß in Safed wäre größer, wenn.«
    »Wenn ich verheiratet wäre?«
    »Ja. Für einen Rabbi ist es schlechthin eine Pflicht.«
    Der schöne Spanier saß minutenlang da und blickte auf seine Hände. Dann antwortete er ruhig: »Für deine Tochter wäre ich zu alt. Schließlich bin ich siebenundfünfzig bis hundertundzwanzig.« (Dies war die jüdische Art, sein Alter zu

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