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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Kommentare späterer Lehrer wie Maimonides und Raschi Hunderttausende. Kein Jude vermochte sich mehr in irgendeinem Gebiet des geltenden Rechts auszukennen. Dieser Verwirrung aber wollte Rabbi Elieser ein Ende setzen. Außerdem hatte er auf seinen Reisen durch Deutschland, Ungarn, Bulgarien und das Türkische Reich gesehen, daß in vielen Gemeinden die Kenntnis der einfachen Thoragesetze dahinkümmerte, daß der Talmud und erst recht Maimonides unbekannt waren. Das gesetzliche Gefüge des Judentums schwand, und diese Entwicklung mußte zum Untergang des jüdischen Volkes führen. Für alle diese gefährdeten Juden schuf Elieser ein umfangreiches Buch, das eine Zusammenfassung des Gesetzes enthielt. Sein Ziel aber war kein geringeres als die Rettung des Judentums.
    1546, in Istanbul, hatte er mit dieser Arbeit begonnen, aber die Atmosphäre der Stadt war systematischem Denken nicht förderlich gewesen. Die Juden besaßen nur wenig Bücher, und die türkische Regierung drängte Männer von so augenfälligem Talent wie Elieser, sie sollten einen Posten in der Verwaltung übernehmen. Dreimal war dem hageren Rabbi nahegelegt worden, Ratgeber bei der Hohen Pforte zu werden, und zweifellos wäre ihm dank seiner Talente schließlich ein wichtiges Amt sicher gewesen. Aber er hatte sich zu anderem Dienst berufen gefühlt. »In Safed« - das war der Rat seiner Freunde gewesen - »wirst du sowohl Bücher finden wie auch den Geist der Gelehrsamkeit.« Und sie hatten eine Summe Goldes für ihn gesammelt, die lange Jahre zu seinem Lebensunterhalt reichte, und versprochen, ihm im Bedarfsfall mehr zu geben, damit er seine ganze Arbeitskraft der einen Frage widmen könne: »Was muß ein Jude tun, um Jude zu bleiben?«
    Allein mit seinen Aufzeichnungen über die Fragen des Eherechts hatte er bereits zwei Hefte gefüllt. Und da seine Gesetzeskenntnis ihn daran gemahnte, daß jeder Mann eine Frau haben muß, hatte er in Istanbul eine jüdische Witwe geheiratet, die ihre Lebenserfüllung darin sah, über ihn, seine Bücher und seine schöne Tochter zu wachen. Gegenwärtig stellte er die Bestimmungen des Erbrechts, der Annahme an Kindesstatt und des Scheidungsrechts zusammen - abermals würden sich zwei Hefte füllen. Danach wollte er sich mit den Fragen des Landbesitzes, des Reinen und Unreinen, mit den Vorschriften für alle geschäftlichen Dinge und mit selbst der kleinsten Kleinigkeit menschlichen Lebens befassen. Für jede erdenkliche menschliche Handlung gab es ein Gesetz, und die Juden mußten wissen, was das Gesetz sagte.
    In späteren Jahren haben manche liberalen jüdischen Geister beklagt, daß dieser eigenwillige Deutsche je nach Safed gelangt war. Denn nachdem er sein Gesetzbuch abgeschlossen hatte, sahen sich die Juden der ganzen Welt von einem einzigartigen und strengen Gesetz so sehr eingeengt, daß ein normales Wachstum unmöglich schien. Schroffe Kritiker verurteilten Elieser bar Zadoks »tödlichen Einfluß auf das jüdische Denken«. Aber am Ende mußten sogar seine schärfsten Kritiker zugeben, daß allein sein eiserner Wille Ordnung in ein Chaos gebracht habe. Wenn es zutraf, daß er Ketten der Knechtschaft geschmiedet hatte, so traf doch auch zu, daß er die starke Brücke gebaut hatte, über die das Judentum aus der Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft schreiten konnte. Man erinnerte sich, daß das erste Problem, dem Elieser bar Zadok sich zuwandte, eines der ältesten der Weltgeschichte war: »Wie vermögen ein Mann und eine Frau in Eintracht miteinander zu leben?« Die zweite Frage, die ihn beschäftigte, lautete: »Welches sind die Pflichten und die Rechte der Kinder?« Wenn das jüdische Familienleben beständig erstarkte, während das ihrer nichtjüdischen Nachbarn sich verschlechterte, so deshalb, weil der deutsche Jude Elieser Bestimmungen auch über die intimsten Dinge auf diesem Gebiet festgelegt hatte: »Es gibt nichts in den geschlechtlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau, über das sie nicht reden dürften. Aber wir haben gefunden, daß ein Mann viererlei Dinge nicht von seiner Frau fordern sollte, und daß es dreierlei Handlungen gibt, die kein Weib von seinem Mann verlangen darf.« Und mit einfachen Worten erklärte er, worin diese sieben Einschränkungen bestanden. Er gab auch den bündigsten Grund an, warum die Vielehe aufzugeben sei: »Thora und Talmud stimmen darin überein, daß ein Mann mehr als ein Weib haben dürfe. Andererseits sagt das Gesetz: Hat ein Mann drei Frauen, so

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