Die Quelle
rituellen Bad und reinigt sich für den Abend. Sein Mittagsmahl ist freitags immer karg, und Ungeduld erfüllt ihn, während die Stunden verstreichen. Um die Mitte des Nachmittags aber fällt eine Art Beseligung über ihn und über die Stadt, und er nimmt seinen schönen Gebetsmantel herunter, einen weißen mit schwarzen Streifen und geknüpften Quasten, verläßt das Haus und wandelt gemächlich zum Rande der Stadt und zur Stadt hinaus ins Freie. »Bleib nicht zurück, Dom Miguel!« sagt er zu mir. »Du wirst deiner Braut begegnen.« Während er sich noch durch die engen Gassen bewegt, stoßen Männer zu uns, bis er schließlich an die sechzig oder siebzig ins Freie führt - ein dicker, runder kleiner Mann mit schwarzem Bart, den die Nachbarn verehren. Wir sind noch nicht lange in den Feldern, da sehen wir Doctor Abulafia kommen; er ist groß, trägt einen langen, mit Grau durchsetzten Bart und hat eine königliche Haltung. Immer begleiten ihn Schüler der Kabbala. Dann kommt Rabbi Jom Tow, in kostbaren Gewändern und mit gestrenger Miene, gefolgt von seinen Arbeitern und Gehilfen, und endlich schreitet durch die Felder ein Mann ganz allein und tritt zu uns, Rabbi Elieser bar Zadok ha-Aschkenas. Seine Augen sind vom vielen Lesen mitgenommen. Viermal, seit ich nach Safed gekommen bin, hat man mir erzählt, daß Rabbi Elieser früher in Deutschland ein Mann gewesen sei, der dir ganze Nacht hindurch tanzen und unendliche Mengen Bier trinken konnte. Doch wenn dies jemals der Fall gewesen ist, so hat der Kummer den Rabbi inzwischen stark verändert.
Im Schatten der Berge setzen wir uns auf den Boden und sprechen von heiligen Dingen. Wir singen Hymnen, die von den Dichtern der Stadt stammen, und betrachten die Wiesenblumen. Aber wenn die Sonne sich gen Westen neigt, wird Rabbi Zaki von starker Erregung ergriffen, steht auf und kehrt zur Stadt zurück. Erst bewegt er sich langsam, zuletzt aber in einem Eselsgalopp, daß ihm das Gewand um die feisten Beine schlägt. Er ruft zu mir nach hinten: »Lauf schneller, Dom Miguel! Deine Braut naht!« Durch die engen Gassen von Safed rennt er, bergauf und bergab, und schreit: »Gleich wird Prinzessin Sabbat erscheinen. In unseren besten Kleidern, mit unserem süßesten Atem laßt uns der Prinzessin entgegengehen und sie begrüßen!« Er klopft an die Türen und ruft an den Straßenecken, damit kein einziger die Prinzessin versäume. Dann wartet er in einer Art Verzückung, bis die anderen Rabbinen unter Lobsingen von den Feldern zurückgekehrt sind und jeder Mann zu seiner eigenen Synagoge geht. Die Sefardim wie Zaki suchen eine der vielen spanischen auf, die Aschkenasim wie Elieser eine der beiden deutschen Synagogen. Die Männer sitzen auf dem Boden, die Frauen beten auf der mit Florvorhängen verhüllten Empore, und nachdem die Abendgebete gesungen sind, bestimmen alle die große Safed-Hymne an, die wir auch in Amsterdam einführen sollten: »Brech auf, mein Freund, der Braut entgegen, laß uns der Ruhe freundlich Angesicht empfangen.« Und während die Sonne sinkt, beginnt in Safed der Tag des HErrn, der geheimnisreiche Tag, an dem sich die Gemeinschaft zwischen Ihm und dem Menschen aufs neue bestätigt.«
In einem späteren Abschnitt - den manche Juden gern missen würden, beschreibt Dom Miguel freimütig unter anderem auch das Geschlechtsleben der Stadt:
»Der Sabbat ist in Safed ein Tag höchster Freude. Nach dem Abendgottesdienst um Freitag lädt Rabbi Zaki etwa zwanzig Freunde und alle von weither Zugereisten zu sich ein. Die Speisen, welche die Rebbezin am Morgen gekocht hat, werden aufgetragen, und Wein von den Bergen Safeds wird ausgeschenkt. Wir singen alte italienische und spanische Lieder bis fast zur Mitternacht, und wenn ein Fremder - vom Singen mehr als vom Wein - trunken wird, tadelt Zaki ihn deshalb keineswegs. Eines Freitags sagte er mir während des Gesanges: »Du wirst sie hinauslassen müssen, Dom Miguel, denn ich muß zu Bett gehen. Seit meiner Hochzeit in Podi habe ich jede Freitagnacht bei meiner Frau gelegen, sogar an Bord des Schiffs, als wir beide seekrank waren. Wenn ich es jetzt unterließe, würde sie es ungut aufnehmen.«
Am Sabbat selbst finden drei Gottesdienste statt: im Morgengrauen, am Vormittag und am Nachmittag. Während dieser heiligen Zeit stockt alles außer dem religiösen Leben. Die Männer dürfen nichts tragen, nicht einmal eine Schnur, damit sie nicht aus Versehen am Tag des HErrn arbeiten. Kein Essen wird gekocht, kein Feuer und
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