Die Quelle
Elieser. Und können wir jetzt wieder Frieden haben?«
»Ja. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte, und werde fortan schweigen.«
»Ich gehe jetzt zu meinem Schwiegersohn«, antwortete Zaki. Als er das Haus verlassen hatte, sagte Elieser zu seiner Tochter: »Dort geht ein heiliger Rabbi. In seinen Augen ist Doctor Abulafia nicht ein Mann, der Safed entzweit und den Glauben in Gefahr gebracht hat. Er ist sein Schwiegersohn.«
Im Haus des Kabbalisten versicherte Sara ihrem Vater, sie habe »dem Rabbi schon hundertmal gesagt, er solle aufhören, Briefe zu schreiben«. Doctor Abulafia lachte verlegen. Rabbi Zaki schlug darauf vor: »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß du aus der kühlen Höhe deiner Bücher hinabsteigst und in meine Schusterwerkstatt kommst.«
»Mag sein«, sagte Abulafia und nahm seinen Gebetsmantel um. Als er das Haus verließ, schrie Sara gellend hinter ihm her: »Und gib bloß acht auf das, was mein Vater dir zu sagen hat.« Rabbi Zaki dachte nur: Nun bin ich plötzlich ein Prophet!
Er schickte einen Jungen zu Rabbi Elieser. Der Rechtsgelehrte kam den Berg herab, und die drei Männer saßen beisammen im Schusterladen und besprachen den Streitfall. »Ich denke, wir haben unsere Ansichten nun alle klar dargelegt«, sagte Rabbi Zaki.
Elieser berichtigte ihn: »Du hast kein Wort gesprochen, Rabbi Zaki. Was ist deine Ansicht?«
»Daß die Thora sechshunderttausend Gesichter hat, und daß zwei meiner liebsten Freunde auf Erden, Rabbi Elieser und Rabbi Abulafia, jeder eines dieser Gesichter gesehen und aus diesem Anblick große Erleuchtung gewonnen haben.«
»Wir haben über grundlegende Meinungsverschiedenheiten geredet«, widersprach Abulafia.
»Gibt es etwas, das noch mehr grundlegend wäre als die Thora?« fragte Zaki. »Nein«, antwortete Elieser. »Ich werde keinen Brief mehr schreiben.«
»Ich auch nicht«, versprach Abulafia.
Rabbi Zaki bat Rachel, Wein zu bringen, und sagte: »Ihr habt euch gefragt, ob ich die Auseinandersetzung verstehe. Ja, ich verstehe sie. Abulafia kämpft um das Recht des einzelnen Juden, sich nach eigenem Vermögen der Thora zu nähern und darin Seligkeit zu finden, und ich pflichte ihm bei. Elieser kämpft um das Lebensrecht der jüdischen Gesamtheit, und das billige ich. Die Pflicht eines armen Rabbi, wie ich es bin, ist die: zu sehen, daß jedes dieser so wichtigen Ziele erreicht werden kann. Das Wort >Jüdengasse< aber verstehe ich nicht, und ich wünschte, jemand erklärte es mir.«
»Es ist eine Straße, widerlich eng, in der die deutschen Juden zu wohnen gezwungen sind«, erklärte Elieser. »Und bald werden wir alle dort wohnen.«
»Mögen wir alsdann Diego Ximenos Tapferkeit besitzen«, betete Doctor Abulafia. Und damit hatte die Fehde zwischen den beiden ihr Ende gefunden. Es wäre unrichtig, wollte man behaupten, die Stadt sei während dieser kritischen Auseinandersetzung unbeteiligt geblieben. Safed war eine Stadt von eigenartiger Schönheit. Vom Gipfel mit der verfallenen Burg bis hinab zu den Feldern hinter der Synagoge hingen sechzehn enge Gassen, eine unter der anderen. Kleine Pfade verbanden sie miteinander. An vielen Stellen waren die Straßen so eng, kaum meterbreit, daß die Obergeschosse der Häuser aneinanderstießen und man gleichsam in einem Tunnel dahinwanderte. Der Ort hatte seine ihm ureigene Rätselhaftigkeit. Oft zog eine Wolke in die Stadt, legte sich launisch über einige Häuser, über andere aber nicht. Ein Nachbar konnte in der Tür stehen und das Haus seines Freundes geheimnisvoll verschwinden sehen, bis es, wenn die
Wolke weiterzog, wieder im Sonnenlicht auftauchte. Auch die Luft war in Safed anders, eine klare scharfe Luft, die die Lungen anzuregen schien und einen dazu brachte, tief, in einer Art von Heiterkeit, Atem zu holen. Wegen dieser klaren Luft konnte man ungewöhnlich weit blicken, scharfsichtig wie ein Geist geradezu. Kurz, Safed war eine Stadt, die dazu verleitete, die mystische Deutung des Lebens zu übertreiben. Es ist durchaus möglich, daß der Erfolg der Kabbalisten in einer anderen Ortschaft Galilaeas begrenzt geblieben wäre.
Elischewa fiel diese Eigenheit Safeds zuerst auf. »Die Stadt widersetzt sich dir«, sagte sie eines Tages zu ihrem Vater. Er lachte grimmig; dennoch fuhr sie fort: »Hier könnte ich beinahe zur Mystikerin werden. Die Straßen sind genauso schmal wie die Jüdengasse in Gretsch. Warum wirken sie doch so viel schöner?«
»Weil dich hier kein Eisentor von den Feldern fernhält«,
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