Die Quelle
Miguel einem erheblichen Irrtum: Safed machte zwar damals eine goldene Zeit durch, doch war die Stadt weit davon entfernt, den Schlüssel zu einem dauernden guten Einvernehmen gefunden zu haben. Zu Beginn des Jahres 1551 brach ein ernsthafter Streit aus zwischen den beiden Rabbinen, deren Einvernehmen Dom Miguel gelobt hatte. Binnen kurzem erfaßte der Streit die ganze jüdische Gemeinde und hätte sie mit der Zeit zugrunde richten können, waren nicht kluge Maßnahmen getroffen worden, den Bruch wieder zu heilen. Der Streit begann, als
eine Jüdin aus Damaskus sich von einem Mann scheiden lassen wollte, der nur kurze Zeit in Safed gewohnt hatte und dessen Vorleben einigermaßen dunkel war. Rabbi Abulaha war geneigt, den Menschen aus ihren häuslichen Schwierigkeiten zu helfen. Ihn quälte noch immer die eigene Sünde, und zudem war er unglücklich in seiner Ehe mit Sara, die mit den Jahren ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Obwohl der Rechtsanspruch der Klägerin unklar war, gewährte er die Scheidung. Rabbi Elieser, der in diesem Fall nicht als Richter fungierte, stellte mit einiger Besorgnis fest, daß Doctor Abulafia sich hiermit zum vierten Male über die genaue Befolgung des mosaischen Gesetzes hinweggesetzt hatte. Er gewann den Eindruck, hier werde das geistige Fundament des Judentums angegriffen. Deshalb zog er sich in die Bibliothek zurück, die seine jüdischen Freunde aus Istanbul durch Zuwendungen für ihn unterhielten, und verfaßte einen schroffen Brief, voller rechtswissenschaftlicher Zitate und derber deutscher Sätze, in denen er ja auch das Gesetz niederlegte. Die hauptsächlichen Stellen lauteten folgendermaßen:
»Glaubt Rabbi Abulafia, er könne ungerügt ein so mangelhaftes Scheidungsverfahren betreiben? Gedenkt er in Zukunft ähnlich zu befinden? Wenn er solches tatsächlich vorhat, so sehen wir für die Rabbinen von Safed keine Möglichkeit, seinen Urteilen in diesen oder anderen Rechtsgebieten weiterhin Glauben zu schenken. Einem Mann, der das einfache Scheidungsgesetz nicht zu verstehen vermag, kann sicherlich nicht zugetraut werden, über schwierigere Dinge zu befinden. Wegen seiner anmaßenden, unbeherrschten Beschlüsse weckt Rabbi Abulafia in allen Gemütern drei ernste Fragen: Kennt er das Gesetz? Achtet er es? Wird er es in Zukunft befolgen?<
Diese Angelegenheiten beschränken sich nicht auf Safed; sie sind von großer Tragweite. Wir, denen der Herr es auferlegt hat, den traurigen Zustand des jüdischen Glaubens allenthalben in der Welt zu sehen, wissen, daß die Juden in Gefahr sind und nur gerettet werden können, wenn sie gemäß dem Gesetz leben. Jeder Rabbi, der wie Doctor Abulafia mit dem Gesetz Mißbrauch treibt, trägt zur Vernichtung des Judentums bei. Wir setzen diesen unerfreulichen, aber notwendigen Brief in Umlauf, nicht weil uns sein Fehlurteil im Fall der Frau aus Damaskus bekümmert. Dieser Irrtum ist verzeihlich. Uns liegt vielmehr die Hoheit des Gesetzes am Herzen, das dahin wirkt, das Judentum zu bewahren. Und wir sagen Doctor Abulafia: Falls dein willkürliches Urteil in dieser Sache zum Musterfall wird, zerstört es das Fundament des jüdischen Familienlebens. < Wir wissen, daß er dies nicht beabsichtigen kann, und müssen darum, aus Nachsicht, folgern, daß Doctor Abulafia das Gesetz nicht kennt. Gewiß ist es nicht sein Wunsch, die Juden von Safed in jene zwielichtigen Bereiche zu führen, in denen jeder Mann sein eigener Richter ist, wo alle frei sind, Gesetze gemäß den eigenen Gelüsten aufzustellen, und wo das harte, klare Licht von Thora und Talmud getrübt wird.«
Als der Brief in die Straßen und Synagogen gelangte, verursachte er stürmische Auseinandersetzungen, denn Schriftstücke dieser Art veranlassen nun einmal dazu, Stellung zu nehmen. Der Erfolg war durchschlagend. Rabbi Abulafias Schüler entwarfen empört eine Antwort, die Rabbi Elieser als Dummkopf hinstellen sollte. Der Arzt ließ sich durch die persönliche Schmähung jedoch nicht anfechten und gebot ihnen Einhalt. Besser als sie verstand er, was der Kern der Herausforderung durch Rabbi Elieser war, und er wünschte nur die eigentliche Streitfrage zu erörtern. Deshalb arbeitete
Abulafia in den Wochen, nachdem Rabbi Elieser den Brief verteilt hatte, ruhig weiter, stand jeden Morgen vor seinen Schülern, betete mehr als gewöhnlich und verbrachte seine Abende im Kreis gelehrter Freunde mit der Erörterung gerichtlicher Präzedenzfälle. Als seine Anhänger sich endlich wieder
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