Die Quelle
Rabbi Elieser ein. Seine Prophezeiung hatte sich erfüllt.
»Viertens: Kein Jude darf Grund und Boden besitzen. Wer Grundbesitz hat, muß ihn binnen vier Monaten verkaufen für jede Summe, die ein Christ ihm bieten will. Fünftens: Kein Jude darf eine kaufmännische Tätigkeit betreiben außer dem Handel mit alten Kleidern.« Dröhnend zählte er weitere Verbote auf: Kein Christ dürfe für einen Juden arbeiten, kein Jude einem Christen ärztlichen Beistand leisten, kein Jude an einem christlichen Feiertag arbeiten; nirgends und zu keiner Zeit, nicht einmal in der Synagoge, dürfe ein Jude mit Titeln wie Messer oder Rabbi angeredet werden.
Rabbi Zaki hörte den Worten zu und zwang sich, immer noch zu hoffen. »Das sind die alten Gesetze. nur verschärft«, sagte er.
»Jetzt aber gelten außerdem zwei neue«, erwiderte der Mann aus Ancona, »und vor diesen beiden bin ich geflohen. Dreizehntens: Alle früheren Gesetze, die den Juden Schutz irgendwelcher Art gewährt haben, sind aufgehoben, und der Rat jeder Stadt darf ihnen jede ihm angemessen erscheinenden zusätzliche Beschränkung auferlegen. Vierzehntens«, seine Stimme erstarb zu einem Flüstern. »Wenn sich der Jude einer dieser Bestimmungen widersetzt, so soll er einer strengen Körperstrafe unterzogen werden.« Das Schweigen wurde vom stets praktisch denkenden Jom Tow ben Gaddiel unterbrochen. »Aber geschah denn nun etwas, als die Gesetze verkündet wurden?« fragte er.
»Nein«, sagte der Mann aus Ancona und durch die Synagoge von Safed ging ein allgemeines Aufatmen der Erleichterung. »Doch am letzten Abend, den ich in der Stadt zubrachte, kam ein Christ, der mir viel Geld schuldete, still in mein Haus und sagte: >Simon ben Juda, du bist mir ein guter Freund gewesen. Hier ist die Hälfte des Geldes, das ich dir schulde. Flieh noch diese Stunde aus der Stadt, denn morgen bei Tagesanbruch wird es zu vielen Verhaftungen kommen.< Ich fragte: >Weswegen?< Er zuckte die Achseln: >Schließlich seid ihr ja Ketzer.< Und als ich mich hinter Ancona im Gebirge versteckte, sah ich gegen vier Uhr morgens Fackeln in allen Straßen leuchten, in denen Juden wohnten.«
»Was also geschah?« fragte Rabbi Jom Tow. »Ich weiß es nicht. Ich bin nach Podi geflohen.«
»Sind dort Juden verhaftet worden?« fragte Zaki. Sein dickes Gesicht war naß vor Schweiß.
»Nein. Euer Herzog sagte, in Podi gälten die neuen Verordnungen nicht, und sein Bruder, der Kardinal, bestärkte ihn in seinem Widerstand. Boten kamen in großer Aufregung aus Ancona und aus Rom, um die Brüder zu bereden, aber sie blieben fest und gestatteten keine Festnahmen. Trotzdem begann ich mich zu fürchten und ging an Bord eines türkischen Schiffes.«
»Sag mir: Wie ging es Jacopo ben Schlomo und Sara, seiner Frau?« fragte Zaki. »Es ging ihnen gut«, berichtete der Mann aus Ancona. »Sie haben noch ihr rotes Haus beim Fischmarkt.«
An jenem Abend kehrte Rabbi Zaki in seine leere Schusterwerkstatt zurück und betete. Seine Lippen aber bewegten sich schwerfällig, denn er sah seine Juden in Podi, wie sie an jenem längst vergangenen Tag auf dem Kai standen und feurige Zeichen auf den Stirnen trugen. Und im Sommer des Jahres 1556 kam nach Safed mit einer Schiffsladung Wolle eines jener entsetzlichen Flugblätter, die zu verschicken die Städte Europas um die Jahrhundertmitte ein krankhaftes Vergnügen fanden. Das Blatt war ein Erzeugnis der neuen Druckerpresse in Podi. Es erzählte der Welt, daß die Heilige Inquisition durch die Verbrennung von neunundzwanzig Juden in den Jahren 1555 und 1556 die Stadt Podi errettet habe. Der Name, die Beschreibung, die Ketzerei eines jeden waren ausführlich angegeben, und neunundzwanzig Holzschnitte zeigten, wie die einzelnen sich auf den Scheiterhaufen verhalten hatten.
Der dicke Jacopo, der am letzten Wettrennen zusammen mit Zaki teilgenommen hatte, war betend gestorben. Der dünne Nathanael hatte um Gnade gebettelt. Sara, Jacopos Frau, war gestorben, ihr Haar eine lebende Fackel. Schaudernd las Rabbi Zaki die von ihm vorausgeschaute Geschichte seiner Gemeinde. Es war, als greife die Inquisition über das Mittelmeer hinweg nach ihm und hole ihn zu der Strafe zurück, der er durch seine Flucht entgangen war.
Damals befiel den Rabbi Zaki, diesen lustigen, rundlichen Mann, jenes Schuldbewußtsein, das seine letzten Jahre belastete. Die beiden Schläge hatten ihn schwer getroffen. Rachel, so dachte er, wäre vielleicht nicht so verbittert gewesen, wenn er sich Mühe
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