Die Quelle
nämlich die Formaljuristerei, und durch die undurchdringliche Schale, die Macht der Rabbinen. Retten können wir uns nur, wenn wir das lebenswichtige Eigelb rein aus der Schale heben und es mit dem gemeinen Mann teilen.«
Abulafia selbst stellte solche Überlegungen nicht an. Er sagte: »Die Geheimnisse des Sohar sind für den gemeinen Mann nicht faßlicher als das Gesetz des Talmud. Wir werden immer Rabbinen brauchen, und in Zukunft mehr als in der Vergangenheit. Aber es muß der beglückenden Schönheit des Sohar belassen bleiben, die Seelen aller Menschen zu erleuchten. Und wenn es Gesetze gibt, die dies verhindern, dann müssen diese Gesetze geändert werden.«
Rabbi Elieser, der einsame Gelehrte ohne Synagoge, den überdies sein strenges Wesen von den beliebten Rabbinen und von der Menge abschloß, sprach meist mit seiner achtzehnjährigen Tochter Elischewa. Sie hatte die Klugheit und die Schönheit ihrer Mutter geerbt. »In dieser Angelegenheit geht es nicht um Abulafia oder mich. Auch nicht um Gesetz und Kabbala«, sagte er zu dem Mädchen. »Abulafia hat völlig recht, eine Auseinandersetzung auf diesen beiden Ebenen abzulehnen. Doch seine Erfahrung beschränkt sich auf Spanien, wo die Juden ihren Wohnsitz wählen durften und die Verfolgung den einzelnen traf. Ich dagegen weiß, wie es in Ländern wie Deutschland zugeht, wo die Juden in enge Gassen zusammengetrieben werden. Und, Elischewa, künftig wird die Mehrzahl der Juden auf der ganzen Welt so hausen. Was vermag dem Volk dann noch die Freiheit bedeuten? Wir sorgen uns nicht um das persönliche Glück unseres Oheims Gottesmann, dieses rechtschaffenen Kaufmanns, möge der HErr ihn gnädig bewahren, wo immer er ist. Wie können viertausend eng zusammengepferchte Juden weiterleben? Das ist unsere Sorge. Sie können weiterleben und ihren Glauben bewahren, wenn sie das Gesetz gewissenhaft befolgen.« Und eines Abends rief er schmerzlich aus: »Immer reden sie über Safed! Ich rede über die Welt! Welches Band wird die Juden zusammenhalten, wenn nicht das Gesetz?« Der Streit verschärfte sich, die Spaltung der Gemeinde vertiefte sich. Die Kamelkarawanen beförderten weiterhin das fertige Tuch nach Akka und kamen mit Rohwolle zurück, so daß jedermann Geld verdiente. Rabbi Zaki aber war bekümmert. Auf seine einfältige, linkische Art begriff er deutlicher als die beiden Gegner, daß der Riß geheilt werden müsse. Aber weder der eine noch der andere zeigte sich zu einer versöhnlichen Geste bereit. So ging Zaki schließlich und demütigte sich vor Rabbi Elieser. Aber schon bei den einleitenden Worten wurde er durch das Eintreten Elischewas abgelenkt. Sie trug ihr Haar glatt über die Ohren gelegt und im Rücken zu einem langen Zopf gebunden. Und als der Narr, der er nach Ansicht seiner Frau war, vergaß Zaki den Hauptzweck seines Besuchs und sagte: »Rabbi Elieser, du solltest deiner Tochter einen Mann suchen.« Die Rüge kam aus vollem Herzen und so unerwartet, daß der ernste deutsche Jude in Lachen ausbrach. »Du hast recht. Ich habe mich durch unwichtigere Dinge ablenken lassen.«
»Das haben wir alle. Die ganze Stadt hat über Talmud und Sohar, Maimonides und Abulafia geredet. Im Ernst, glaubst du nicht, wir alle sollten wieder an die Arbeit gehen?«
»Verstehst du, worum es sich bei der Streitfrage handelt?« fragte Elieser. »Ich versuche es. Doctor Abulafia sorgt sich um die Gegenwart. Du sorgst dich um die Zukunft.«
Elieser lachte aufs neue und zog seine Tochter an sich. »Du kommst der Wahrheit erstaunlich nahe«, bekannte er. Dann wurde er wieder ernst. »Aber ich sehe den Tag kommen, und er ist nicht fern, an dem die Juden dieser Welt, in viele Länder zerstreut und jeder mit einem anderen Bild des Allmächtigen, irgendeinen Wahnsinnigen schreien hören werden: >Ich bin euer Messias. Ich bin gekommen, euch zu erretten.< Wenn dann der vom HErrn geschlagene Jude nicht fest auf dem Gesetz steht, wenn es ihn nicht schützt, so wird er zu tanzen anfangen und rufen: >Der Messias ist vor den Toren, und ich bin aus der Jüdengasse erlöst.<«
»Woraus?« fragte Zaki. Der Deutsche fuhr zurück, als kenne der Mann, zu dem er redete, nicht sein Alphabet, nicht die gebräuchlichsten Worte seiner Sprache. Dann aber sagte er: »Wir Juden können ein törichtes Volk sein, Zaki. Allein das Gesetz erhält unsere Kraft. Wir sind ein Volk des Buches, und der Tag wird kommen, an dem allein dieses Buch uns vor uns selbst bewahrt.«
»Ich glaube dir, Rabbi
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