Die Quelle
daß er nun endlich den Aufruf der Sabbathymne verstehe: »Brech auf, mein Freund, der Braut entgegen.« Aber kaum hatte er die ersten Worte ausgesprochen, als er sie als lästerlich erkannte und den Satz abbrach. Denn er wußte, daß die Braut Sabbat noch herrlicher war als die Braut Elischewa. Und in diesem Gedanken fand er Zuversicht. In kürzester Zeit war die Rebbezin schwanger und erklärte allen Bekannten: »Rabbi Zaki und ich, wir werden zwei Dutzend Kinder haben.« Und als ihr erster Sohn geboren war, wurde sie gleich wieder schwanger, so daß sie in drei Jahren drei Kinder hatte. Sie lachte den ganzen Tag, und als die jungen Männer der Stadt sagten: »Wir stellen fest, daß Rabbi Zaki gar nicht mehr so häufig zum Mitternachtsgebet aufruft«, gab sie in ernstem Ton die Antwort: »Würdet ihr an seiner Stelle.?« - eine Antwort, über die man in Safed denn doch den Kopf schüttelte.
Wenn er nicht bei seiner wunderbaren Frau war und dann ihrer gedachte, erinnerte sich Zaki am deutlichsten an eine unbedeutende kleine Angewohnheit. Freitags, kurz vor Beginn des’ Sabbat, nahm sie weiße Farbe und zog alle Linien auf dem Steinboden ihres Hauses und auf der Straße vor dem Haus nach. Es war dies eine deutsche Sitte, die dem Haus ein ordentliches, reinliches Aussehen verlieh. Und eines Tages, als Zaki wieder einmal an die hübschen weißen Rechtecke dachte, mit denen sein Weib den HErrn pries - er sah die Linien mit seinem geistigen Auge auf dem Westhimmel eingezeichnet -, erblickte er zum erstenmal die Zahl 301. Als brennendes Symbol erschien sie ihm, wirklicher als die Erde, über die er schritt, die flammende Zahl 301.
In jener Nacht saß er beim Licht einer Kerze und schrieb die hebräischen Buchstaben aufs Papier. Er hoffte, die mystischen Lettern JHWH zu beschwören. Es war ihm noch nie gelungen, da sein Geist für dieses höchste Mysterium nicht genügend geschult war. Plötzlich entschwanden die gewöhnlichen Buchstaben, und er sah nur noch die zwei, welche die Zahl 301 bedeuteten. Wiederum standen die Buchstaben in Flammen da.
Und jetzt, während der glücklichsten Zeit seines Lebens -Elischewa ging stolz mit ihren drei Kindern durch die Straßen, und sein Ansehen in der Stadt war größer denn je -, sprang dem dicken Rabbi völlig unerwartet die Zahl 301 entgegen. An den Freitagnachmittagen ging er, wie immer, mit den Rabbinen in die Felder hinaus, um den Sabbat einzusingen; als er sich aber von ihnen trennte, um in den Straßen den Sabbat zu verkünden, trat aus jeder weißen Mauer brennend die Zahl 301 und erschreckte ihn. Er konnte ihr nicht entfliehen. Im dritten Monat dieser Heimsuchung geschah es, daß er seine Frau küßte und die Zahl gleich einem Wappen ihrer Stirn und den Köpfen seiner Kinder aufgemalt sah. Es war ein entsetzlicher Augenblick. Drei Tage lang sprach er mit niemandem, und am Freitag darauf ging er weder zum Tauchbad noch zur Begrüßung des Sabbat auf die Felder. Statt dessen schlich er sich still zur deutschen Synagoge, ein Mann, der die göttliche Mahnung nicht zu erkennen vermochte. Als die Stimmen der Sänger um ihn her anhoben, konnte er Elischewa hinter dem Vorhang, der die Frauen absonderte, singen hören:
»Brech auf, mein Freund, der Braut entgegen,
laß uns der Ruhe freundlich Angesicht empfangen.«
Und dann sah er auf dem bestickten Vorhang vor der Thorarolle die flammende Zahl erscheinen.
Die Stimmen der Sänger übertönend, rief er aus: »HErr, HErr, was muß ich tun, um zu helfen?« Die Zahl loderte, als müßte sie die Synagoge verzehren, und zur Überraschung der Andächtigen warf der Rabbi sich auf den Boden und rief: »HErr, HErr, hast Du mich endlich gerufen?«
Rabbi Elieser hörte die Worte, unterbrach seinen Gesang und lief zu dem am Boden liegenden Rabbi. Als er die Verzückung im Gesicht des dicken Mannes sah, ahnte er, daß durch die Beschäftigung mit der Kabbala etwas Schreckliches geschehen sein müsse, und er tat etwas Ungewöhnliches. Er schlug Zaki dreimal und rief: »Es ist nicht so!« Aber der am Boden liegende Mann spürte die Schläge nicht, er schaute unverwandt auf den Thora-Schrein. Dort brannten die mystischen Ziffern noch eine Weile und verschwanden erst, als Zaki in völliger Unterwerfung rief: »Ich werde gehen.«
Nach dem Gottesdienst beachtete Zaki Rabbi Elieser nicht und eilte nach Hause. Mit seiner Frau und seinen Kindern sprach er die Abendgebete - fast brach er zusammen, als er in die vier geliebten Gesichter sah. Er
Weitere Kostenlose Bücher