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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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hatte sich also logischerweise entweder auf die Seite der jungen Idealisten oder auf die der wohlbestallten Beamten zu stellen, die auch ohne jede Änderung zufrieden waren. Einen derartig wichtigen Entschluß hätte er seiner Gewohnheit nach am liebsten so lange wie möglich verschoben. Aber sein Schwager war bereits von Istanbul her unterwegs, um Tabari zu drängen, sich den Reformern anzuschließen, die eine Wiederherstellung der Verfassung forderten. Allein das Grübeln, ob man sich für diese oder jene Seite entscheiden solle, genügte völlig, einen Mann zum Schwitzen zu bringen.
    Allerdings durfte man dem Kaimakam Faradsch ibn Ahmed Tabari seine Unfähigkeit, sich zu entscheiden, nicht etwa als Charakterfehler auslegen. Als einer der wenigen Araber, denen es vergönnt war, eine hohe Stellung in der türkischen
    Verwaltung einzunehmen, mußte er mit allem, was die Politik betraf, sehr vorsichtig sein. Daß er diesen Posten überhaupt bekommen hatte, war nur einem glücklichen Umstand zu verdanken gewesen, und er hatte nicht die Absicht, Fehler zu begehen, die seine Stellung gefährden konnten. Vor vielen Jahren war der damalige Kaimakam von Tabarije, ein türkischer Gelehrter von außergewöhnlichem Wissen, auf den gewitzten Araberjungen Faradsch aufmerksam geworden. Er hatte ihn als Spielgefährten für seinen Sohn und seine Tochter ins Haus genommen, aber im Laufe der Zeit war der Kaimakam in ungesunder Leidenschaft für den heranwachsenden Jüngling entflammt.
    Seltsame Jahre folgten, in denen Faradsch mit dem Kaimakam nach Safed, nach Akka und Beirut reiste und so einen Einblick in die türkische Verwaltung bekam. Und dann verschwand die Leidenschaft genauso plötzlich, wie sie aufgeflammt war, der Kaimakam verheiratete Faradsch mit seiner Tochter und sorgte dafür, daß sein Schwiegersohn die Verwaltungsschule in Istanbul besuchen konnte. Dort war Tabari unter Türken, Griechen, Bulgaren und Persern der einzige Araber des Lehrgangs gewesen. Dort hatte er erfahren müssen, mit welcher Verachtung die türkischen Machthaber auf alle Araber als die Geringsten und Niedrigsten ihres Reiches herabsahen. Und dort hatte er sich geschworen zu beweisen, was ein Araber zu leisten vermochte - mit dem Erfolg, daß er nach Abschluß der Ausbildung mit Sonderstellungen in Saloniki, Edirne und Bagdad betraut wurde. Im Jahre 1876 - Faradsch ibn Ahmed Tabari war nun achtunddreißig Jahre alt, hatte drei Kinder, und sein sonderbarer Schwiegervater war gestorben - kam der Bruder seiner Frau mit aufregenden Nachrichten zu ihm nach Bagdad: »Faradsch, du sollst nach Mekka geschickt werden, und wenn es dir gelingt, sechshundert Mariatheresientaler für Bakschisch zusammenzukriegen, kannst du Kaimakam in Tabarije werden.«
    Im bisherigen Verlauf seiner Karriere war es Tabari allerdings nur gelungen, durch Erpressung, Unterschlagung und passive Bestechung zweihundert Mariatheresientaler zurückzulegen, um damit den für seine nächste Stellung entscheidenden Mann zu schmieren. Deshalb wiegte er bedenklich den Kopf - was ihm sein Schwager da insgeheim anbot, stellte ihn vor eine recht schwierige Aufgabe. Doch der wollte keine Einwände gelten lassen. »Verschaff dir den Posten des Kaimakam«, redete er auf Tabari ein, »denn nur so kannst du mitwirken an den großen Dingen, die sich anbahnen.« Und nun bekam Tabari zum erstenmal von einem der jungen, idealistischen Reformer zu hören, was sie mit dem Türkischen Reich vorhatten. »Faradsch, wenn du nach Tabarije zurückkehrst, kannst du eine Schule gründen oder vielleicht ein Krankenhaus. Wir haben außerdem Pläne für eine Reform des Militärdienstes - die Bauern sollen als Rekruten auch Lesen und Schreiben lernen.« Viele Stunden lang hatten sich die beiden unterhalten, bis Tabari schließlich sagte: »Irgendwie werde ich das Geld schon aufbringen.« Und dann hatten sie sich, der eine ein Türke, der andere ein Araber, die Hand geschüttelt, nicht als Verschwörer, sondern als zwei Männer, die überzeugt waren, wie sehr das alte, müde gewordene Reich der Hohen Pforte Reformen nötig hatte. Als Tabari südwärts gen Mekka reiste, wußte er allerdings nicht, daß die Würdenträger der Hohen Pforte keineswegs an Reformen dachten, sondern daran, sich einen Nachwuchs an Beamten heranzuziehen, dem man die Aufrechterhaltung der alten Ordnung anvertrauen konnte. Tabari hielt man für zuverlässig und hatte ihn zur Beförderung vorgesehen. Und deshalb wurde er nun nach Mekka

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