Die Quelle
Frau Abschied.
In der Morgenfrühe des Montag zogen die Einwohner von Safed, angeführt von ihren Rabbinen, ins Freie, hinter Rabbi Zaki her, der sich zu seiner Pilgerreise aufmachte. Sie gaben ihm Segenswünsche und Geld mit. Er küßte seine Frau und seine Kinder, dann nochmals seine Frau. Doch der letzte Mensch aus Safed, mit dem er sprach, war Doctor Abulafia. Der Spanier trug ein kleines Paket bei sich. »Du weißt, unter welcher Sünde ich lebe«, sagte er. »Hilf mir. Auf meiner Flucht habe ich diese Menora mitgenommen. Bringe sie ins Land der Verfolgungen zurück. Vielleicht wird einer sie zu schätzen wissen.«
Rabbi Zaki blickte den Mann im Turban an und sagte demütig: »Ich habe streng über dich geurteilt. Nun zwingt mich der Heilige, gelobt sei Er!, ebenso zu handeln wie du. Vergib mir.« Doch als er am Abend auf dem Hügel von Makor lagerte, überlegte er: Rabbi Abulafias Menora nach Europa zurückzubringen, wäre Anmaßung, wenn nicht gar Lästerung. Deshalb vergrub er den Leuchter tief in die Erde. Er hoffte
zuversichtlich, daß zu irgendeiner späteren Zeit ein Jude aus der Umgebung die Menora finden und für ein Wunder halten werde.
Skizze einer Goldmünze, geprägt zur Zeit der Fatimidenherrschaft in Ägypten. Inschrift der Vorderseite: »Im Namen Allahs ist dieser Dinar in Tabarija geprägt worden, im Jahre 395 der Hedschra« (1004. n.Chr.) »unter dem Imam Ali al-Mansur Abu Ali und Al-Hakim, dem Herrscher der Gläubigen.« Rückseite: »Es gibt keinen Gott außer Allah. Es gibt keinen andern neben Ihm.« (Dieser Satz richtete sich ausdrücklich gegen die Christen.) »Mohammed ist Allahs Prophet, den rechten Glauben in seiner Gänze zu lehren, mögen die Ungläubigen ihn auch hassen. Ali ist Allahs Freund.« Al-Hakim war der Kalif, auf dessen Befehl im Jahr 1009 die Kirche des Heiligen Grabes in Jerusalem zerstört und damit eine Reihe von Ereignissen ausgelöst wurde, die schließlich ihren Höhepunkt in den Kreuzzügen fanden. Die Münze wurde auf dem Tell Makor am 21. August 1880, bald nach 6 Uhr abends, verloren.
Schicht II
Im Schatten des Türkenreichs
Heiß war es in Tiberias, nicht nur in der Stadt, sondern auch draußen. Die glühende Sonne prallte auf die wie geschmolzenes Blei schimmernde Oberfläche des Sees Genezareth hernieder und versengte erbarmungslos die kahlen Hügel, einer riesigen Fackel gleich, die die Welt anzünden wollte. Innerhalb der mächtigen schwarzen Stadtmauern war es unerträglich heiß. Nur wenige Menschen sah man daher während der Mittagsstunden in den engen Gassen, die, von offenen Abwasserrinnsalen durchzogen, von grauenhaftem Gestank erfüllt waren.
Tiberias war die am niedrigsten gelegene Siedlung der Erde -mehr als zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel! - und in diesem glühheißen Sommer des Jahres 1880 zudem eine der armseligsten Gemeinden der Welt, ein verschlafenes, enges, schmutziges Städtchen, das an Unrat und Ungeziefer erstickte und unter der mitleidlosen Sonne dahindämmerte, als schäme es sich, der Welt sein Gesicht zu zeigen.
Man erzählte sich im Lande eine Fabel: Der König allen Ungeziefers halte in Tiberias Hof und berufe jeden Sommer alle seine Untertanen eigens dorthin, um neue Mittel und Wege zu finden, die Menschenkinder zu quälen. Und was immer an abgefeimten Torturen ausgeklügelt worden sei, werde zuerst an den Bürgern dieser jämmerlichen Stadt erprobt. Irgend etwas an diesem heißen, tief gelegenen Ort mußte in der Tat der Vermehrung von jederlei Art Geschmeiß dienlich sein, denn Haus um Haus wimmelte von Flöhen, Wanzen und Skorpionen. Nahezu tausend Jahre lang war Tiberias die Zielscheibe solchen Gespötts gewesen, und schon im Jahre 985 berichtete ein arabischer Reisender, der wider seinen Willen einige Zeit in der Stadt verweilen mußte, seinen Freunden: »Zwei Monate im Jahr stopfen sich die Einwohner mit den Früchten des Jujubenstrauches voll, die wild wachsen und sie nichts kosten. Zwei Monate lang kämpfen sie mit Scharen von Flöhen. Zwei Monate laufen sie der glühenden Hitze wegen nackt herum. Zwei Monate lang spielen sie Flöte, denn sie saugen an Zuckerrohrstücken, die wie Flöten aussehen. Zwei Monate wälzen sie sich im Schlamm, da der Regen ihre Straßen aufweicht, und während der letzten zwei Monate tanzen sie in ihren Betten, weil sie von Legionen von Flöhen heimgesucht werden.« Die Leute von Tiberias genossen einen Ruf, der nicht viel besser als der ihres Ungeziefers war. Träge ließen
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