Die Quelle
geschickt. Denn dort sollte sich herausstellen, ob er als mittelloser Araber in der Lage war, sich in einer unverhofften Notlage zu behaupten. Bald wußte man es. Denn binnen eines Monats hatte Faradsch Tabari einen Plan ausgeheckt, der ihm in knapp einem Jahr viermal zweihundert Mariatheresientaler einbringen sollte, und das ausschließlich von armen, wehrlosen Arabern. Es wäre jedoch nicht ganz gerecht, derlei Manipulationen als Diebstahl oder räuberische Erpressung bezeichnen zu wollen. Denn damals verfuhr man im Türkenreich nach dem Prinzip, daß jeder Staatsdiener - wie auch immer - in der Lage sein müsse, alljährlich den vierfachen Betrag seines offiziellen Gehalts auf die Seite zu schaffen: einen Teil davon als Bakschisch für die Stellung, die er zur Zeit bekleidete; einen für die Bezahlung eines zukünftigen Postens; einen dritten, um seinem Vorgesetzten bei der Bezahlung für dessen Stellung unter die Arme zu greifen, und den letzten schließlich als eigenen Notgroschen. Jeder türkische Beamte, der nicht zu erpressen, zu lügen, auszubeuten und zu betrügen verstand, ohne daß es dabei zu einem Skandal kam, galt einfach als ungeeignet für die Verwaltung. Nun - Faradsch Tabari war bereit, sich als einer der besten Beamten zu erweisen, die man in den letzten Jahren nach Arabien geschickt hatte.
Er fing damit an, daß er sich von Mekka nach Dschidda begab, der Hafenstadt, in der sich die Moslems für ihre Pilgerschaft zu den heiligen Stätten des Islam zu versammeln pflegten. Schon nach wenigen Tagen erließ er eine Verordnung, nach der jedem Pilger eine zusätzliche Steuer auferlegt wurde. Alle Schiffe, die in den Hafen von Dschidda einliefen, hatten erhöhten Hafenzoll zu entrichten. Wer dagegen protestierte, sah sich plötzlich unvorhergesehenen Schwierigkeiten gegenüber, die er nur durch Zahlen von noch mehr Bakschisch beheben konnte. Als nächstes veranlaßte der tüchtige junge Araber, daß alle Karawanen, die in Mekka haltmachten, ihr Öl und ihre Datteln versteuern mußten. Auch wurden Grundstücksüberschreibungen auf unerklärliche Weise verzögert, bis bestimmte Abgaben höchst unbestimmter Art geleistet waren.
Was jedoch an Tabaris Vorgehen so außergewöhnlich erschien, war die Leichtigkeit, fast möchte man sagen Eleganz, mit der er sich durchzusetzen wußte: Jeder Untergebene, der Bakschisch für ihn eintrieb, durfte einen Teil davon selbst behalten, während die ihm übergeordneten Beamten plötzlich unerwartete Zuschüsse empfingen. Und indem er so verfuhr, wie nur einer mit jahrelanger Erfahrung in leitenden Verwaltungsstellen zu verfahren wußte, erwarb sich Tabari den Respekt aller, erhielt sich die Freundschaft der meisten und bewies außerdem schlagend, daß er für einen verantwortlichen Posten innerhalb des Reiches der Hohen Pforte durchaus geeignet war.
Als er die für seine Beförderung benötigten sechshundert Mariatheresientaler (und einiges mehr) beieinander hatte, begab er sich nach Istanbul, überreichte sie dem für die Ernennung der Kaimakame zuständigen Beamten und verbrachte darauf einige unvergeßliche Wochen in der Hauptstadt. Er traf sich mit alten Freunden von der Verwaltungsschule und schloß neue Freundschaften, die für seine Zukunft wichtig sein konnten. Sein Schwager, der sich in eine gute Stellung hineingeschwindelt hatte, erzählte ihm gelegentlich, wenn sie in den Cafes am Bosporus beieinander saßen, von den Fortschritten der Jungtürken. »Wir haben bereits unsere Schlüsselpositionen in jedem Ministerium und in jeder Provinz«, wußte der begeisterte Reformer zu berichten. »Wenn du nach Tabarije kommst, wird es viel zu tun geben.«
Während der ersten drei Wochen seines Aufenthalts in Istanbul war Tabari fast davon überzeugt, daß es den Jungtürken gelingen werde, eine neue Verfassung zu erzwingen, und ihm gefiel, was sie sagten und wollten. In der vierten Woche jedoch wurde er eines Nachmittags von einer Droschke abgeholt, die ihn am Bosporus entlang zum herrlichen Dolma Baghtsche Serail fuhr - zu einer Audienz beim Sultan Abd ul-Hamid. Und anläßlich dieser Audienz sollte Tabari erfahren, daß der Sultan, ebenso schlau wie grausam, keineswegs gewillt war, sein Reich durch eine Verfassungsreform erschüttern zu lassen. Tabari wurde gemeinsam mit mehreren anderen kürzlich ernannten Kaimakamen vom Sultan empfangen. Danach begab man sich in einen düsteren Raum des Palastes, und hier erklärte Abd ul-Hamid: »Falls in früheren Zeiten einer
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