Die Quelle
meiner Kaimakame sich als verräterisch erwies, wurde er hierher zu einer Beratung gebeten, und wenn er wartete.« Abd ul-Hamid kicherte. Während alle noch betreten schwiegen, schlich sich ein riesiger schwarzer Eunuch in den verdunkelten Raum und packte Tabari am Hals. Die anderen Landräte erstarrten. Tabari aber fühlte, wie sich die Finger des Sklaven immer fester um seine Kehle krallten. Doch dann ließ der Neger seine Hände sinken - alle lachten nervös auf. Abdul-Hamid aber sagte abschließend: »Hier wurden die Treulosen erwürgt und in den Bosporus geworfen, ohne daß eine Spur von ihnen blieb. Heute gibt es solche Strafen selbstverständlich nicht mehr.« Und solchermaßen genau belehrt, wie es einem ergehen kann in einem Reich, das solchermaßen regiert wird, war Faradsch ibn Ahmed Tabari, der erfolgreichste Mann, den das Geschlecht Ur bis dahin hervorgebracht hatte, als Landrat in sein Heimatstädtchen Tabarije zurückgekehrt. Als Kaimakam -seine Vorfahren hätten diesen Titel als den eines Statthalters bezeichnet - duldete er keine Streitigkeiten, er erschien regelmäßig auch in den ländlichen Teilen seines Verwaltungsbereichs und zahlte gewissenhaft Bakschisch an den Mutasarrif in Akka und an den Wali in Beirut. Durch ständigen Druck auf jeden, der mit ihm oder mit seiner Hilfe ein Geschäft machen wollte, konnte er allmonatlich ein Sümmchen auf die Seite legen, um eines Tages genug Geld für den nächsten Posten zu haben. Dieser sollte sich als so einträglich herausstellen, daß er sich in angemessener Zeit zur Ruhe setzen konnte; so wollte er dann nach Tabarije zurückkehren und einen Teil der Stadt aufkaufen.
Denn er liebte dieses verkommene Nest, in dem er aufgewachsen war. Während der ganzen Zeit seines Dienstes fern der Heimat hatte er an das schneebedeckte Gebirge im Norden, an die Lichter von Safed inmitten der Hügel und an die Schönheit des Sees gedacht. Die Art seiner Amtsführung in Tabarije war nach den Maßstäben, wie sie im Orient gang und gäbe sind, keinesfalls nachlässig, und er verstand, die Bevölkerung bei guter Laune zu halten. Unterdrückung religiöser Minderheiten gab es bei ihm nicht. Christen wie Juden hatten volle Selbstbestimmung in Angelegenheiten ihres Glaubens und ihres Familienlebens. Er hielt auf strenge Gerechtigkeit und sorgte für Frieden innerhalb der Bürgerschaft, schon damit die langweiligen Jahre ohne Ärger mit Untergebenen und Vorgesetzten dahingehen konnten. Am besten war es, wenn alles beim alten blieb. Und die Leute von Tabarije waren damit zufrieden, weil sie es anders nicht kannten. Hunderttausende von Menschen des Orients mußten unter weit schlechteren Beamten als Tabari leben. Wenn es am ganzen See keine Schulen gab, wenn die Frauen, ob Mohammedanerinnen, Christinnen oder Jüdinnen, sich wie Arbeitstiere plagen mußten, so lag das einfach daran, daß man es anders überhaupt nicht kannte. Während der zwei Jahre, die er in seinem Amtszimmer damit verbracht hatte, auf die kargen Hügel Galilaeas zu starren, war ihm noch nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, daß man die Reformen, von denen die Jungtürken in Istanbul so begeistert schwärmten, auch hier durchführen könnte, wenn man nur ein wenig Energie dafür aufbringen wollte. Beim Anblick der unfruchtbaren Felder war ihm nie eingefallen, daß sie auch anders aussehen konnten oder daß sie gar jemals anders ausgesehen hätten. Tabarije lag an einem See, in dem einige Arten vorzüglichster Speisefische lebten - an einem See, der einst unzählige Menschen ernährt hatte, selbst ohne Jesu Wunder. Dennoch fand Tabari es niemals merkwürdig, daß es in ganz Tabarije kein einziges Boot gab und daß aus dem schier unerschöpflichen Reservoir so nahe der Stadt keinerlei Nahrung auf den Tisch der Einwohner gelangte. Er kam nicht einmal auf die Idee, irgendwo ein Boot zu kaufen und es an den See zu schaffen. Das letzte Boot, das dieses Gewässer befahren hatte, war vor vierhundert Jahren vermodert, und wo einst Flotten von hundert und zweihundert Fahrzeugen gesegelt waren, gab es jetzt nicht einmal ein Ruderboot! Dem Wohlstand so nahe, hungerte die Bevölkerung, weil niemandem das so Naheliegende einfiel, auch dem Kaimakam nicht. »Meine Aufgabe besteht darin«, hatte er einmal in Akka dem Wali erklärt, »Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und des Nachts wachsam zu sein, damit die Beduinen nicht die Mauern angreifen.«
Kaimakam Tabari versah sein Amt nach einer einfachen Regel, die auch
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