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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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seine Untertanen verstanden: In Tabarije war alles, was man wollte, für Geld zu haben. Wurde ein junger Araber zum Militärdienst eingezogen, gab es selbstverständlich keine Ausnahme; sobald aber sein Vater dem Kaimakam genug zahlte, war der Sohn frei. Ausländischen Juden war es bei strengster Strafe, ja fast Todesstrafe, untersagt, arabischen Grund und Boden zu besitzen; wenn der Jude jedoch genug Bakschisch zusammenbekam, konnte er Land kaufen. Hatte der Kadi einen Mann für schuldig befunden, so einigte er sich mit dem
    Kaimakam darüber, daß er eine ungewöhnlich harte Strafe verhängen durfte. Der Verurteilte konnte dann beim Kaimakam Berufung einlegen; wenn er genug Geld für Bakschisch besaß, ging er frei aus. Jedes amtliche Papier, selbst das einfachste, kostete neben den offiziellen Gebühren seinen genau festgesetzten Preis an Bestechungsgeld, und jede gewünschte Entscheidung, ob durch das Zivilgericht, also den Kadi, oder durch das religiöse Gericht, also den Mufti, wurde getroffen, sobald man dem Kaimakam das entsprechende Bakschisch zahlte.
    Das Geld, das so zusammenkam, gehörte nun allerdings keineswegs dem Kaimakam allein. Im Gegenteil: Tabari war stets großzügig in der Bezahlung seiner Untergebenen und bei der Zuteilung von Gebühren an Kadi und Mufti. Außerdem hatte er regelmäßig Bestechungssummen nach Akka und Beirut abzuführen. Durch das ständige Schröpfen der Menschen von Tabarije war für Schulen, für eine Trinkwasserversorgung oder für eine Kanalisation selbstverständlich kein Geld mehr übrig; es gab weder Krankenhäuser noch eine Feuerwehr, es gab keine ausreichende Polizei, ja nicht einmal ein Gefängnis, in dem ein Mensch hätte existieren können, und es gab auch keine festen Straßen. Man hatte seine Stadtmauer, die die Beduinen abhielt, und man hatte den lächelnden, freundlichen Kaimakam, der seinem Volk das Leben so leicht wie möglich machte. Wenn ein solches System allgemeiner Bestechung funktionieren sollte, so mußte unter den Herren der Obrigkeit relative Ehrlichkeit herrschen. Der Kaimakam hatte aber kürzlich herausgefunden, daß der rotgesichtige Mufti mit dem Bakschisch mogelte und ihn außerdem in Akka schlechtmachte. Dieses Verhalten war nicht überraschend; Tabaris Schwager hatte ihn oft genug gewarnt, daß Arabern wie dem Kadi und dem Mufti ein Landsmann als Kaimakam nicht passe. »Sie hätten lieber einen Landesfremden, etwa einen Bulgaren. Den würden sie fürchten, aber sie wüßten auch, woran sie sind.« Wie früher schon, so hatte der junge Mann auch diesmal recht. Als der heiße Tag sich seinem Ende zuneigte, beschloß Tabari, die Angelegenheit mit dem Mufti zu regeln. Er trank seinen Rebensaft aus, wischte noch einmal den Schweiß am ganzen Körper ab und stieg in die türkische Uniform, in der er seinen Amtsgeschäften nachging.
    Hinter einem Vorhang im ersten Stock seines Hauses verborgen, betrachtete er mit väterlichem Interesse das Leben, das sich nun wieder in den Gassen seiner Stadt zu regen begann. Mohammedanische Ladeninhaber lehnten an den Türen ihrer Verkaufsbuden. Ein alter Jude ging über den Markt und hielt nach Lumpen Ausschau, während andere Juden ihrer Synagoge zustrebten, um ihre Talmudstudien wiederaufzunehmen. Ein christlicher Missionar, der weder Moslems noch Juden zu bekehren vermochte, irrte verzweifelt am Ufer des Sees entlang - sicher grübelte er darüber nach, über welche ihm unbekannte Macht Jesus und Paulus verfügt hatten, daß sie die Herzen öffnen konnten, die ihm verschlossen blieben. Und dann entdeckte der Kaimakam das, was er sehen wollte: Aus dem Haustor des Mufti schlüpfte der kleine Kadi, ganz in Weiß gekleidet und sehr nervös aussehend. Während er sich verstohlen umschaute, schoß er pfeilgeschwind über die Gasse und schritt dann plötzlich voller Unschuld auf das Amtsgebäude zu. Als er außer Reichweite war, erschien in dem gleichen Tor der stattliche Mufti, schwarz gekleidet und mit gerötetem Gesicht, dem die Erregung anzusehen war. Gemächlich bewegte er sich durch verschiedene Gassen auf das Gebäude zu, in dem die Besprechung stattfinden sollte.
    »Ich soll wieder einmal nicht wissen, daß sie die Köpfe zusammengesteckt haben«, lachte Tabari. Irgendwie freute es ihn, daß sie hinter seinem Rücken Pläne ausgeheckt hatten. Und er ließ ihnen sogar vorsorglich Zeit, sein Amtszimmer zu erreichen, damit sie, wenn nötig, noch weiter heimlich miteinander verhandeln konnten. Je sicherer sie sich

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