Die Quelle
dann kann ich einen guten Teil davon selbst behalten und brauche nur den Rest an den Mutasarrif Hamid abzuliefern. Ich muß aber auch - so überlegte Tabari weiter - daran denken, daß der Mutasarrif alle
Möglichkeiten für meine Beförderung in Händen hat. Darum muß ich mir nicht nur sein Wohlwollen sichern, sondern auch seinen tätigen Beistand. Was soll ich also tun? Genau das aber war das Problem, dem sich alle Beamten des Türkischen Reiches immer und immer konfrontiert sahen: Wie ehrlich muß ich sein, in diesem Fall?
Und da hatte Faradsch ibn Ahmed Tabari sich entschlossen. In einem Anfall von Offenheit sagte er zu seinem Gastgeber: »Exzellenz, ich bringe Ihnen gute Nachricht. Der Mufti von Tabarije hat mir dreißig englische Pfund übergeben. Für Sie. Um sich Ihres Beistandes zu versichern, die Juden von Tabarije fernzuhalten.«
»Ich weiß«, murmelte der fette Alte.
Tabari ließ sich von dieser Antwort nicht verblüffen. Es bestand sehr wohl die Möglichkeit, daß der Mutasarrif überhaupt nichts wußte und es nur behauptete, damit Tabari auch in Zukunft ehrlich blieb. In dieser vertrackten Angelegenheit konnte man nie seiner Sache sicher sein.
Dampf schlug sich auf dem Gesicht der alten Kröte nieder, dicke Tropfen fielen auf seinen Bauch, als der Mutasarrif fortfuhr: »Aber wie Sie sehr wohl wissen, Faradsch ibn Ahmed, hat der Sultan höchstselbst bereits entschieden, daß den Juden das Land zu überlassen ist. Also ist das Geschenk des Mufti.« Die beiden Herren brachen in Gelächter aus, und der Alte hob seine Hände in einer Geste der Hilflosigkeit.
»Mir tut der Mufti leid«, sagte Tabari vorsichtig.
»Er ist ein bösartiges Ekel«, knurrte Hamid durch das düstere Zwielicht, »und ich habe es als Affront vermerkt, daß er zu mir gekommen ist und mir persönlich anvertrauen wollte, daß er Ihnen das Geld gezahlt habe.«
»Das hat er getan?« fragte Tabari scheinbar überrascht.
Die dicke, alte Kröte lachte in sich hinein und dachte: Du weißt sehr wohl, daß er mit seiner Geschichte zuerst zu mir gekommen ist. Warum wohl solltest du mir sonst die ganzen dreißig Pfund geben? Zu Tabari aber sagte er: »Ja, wie ein Schuljunge ist er zu mir gelaufen gekommen.«
»Wie war ihm das denn möglich?« fragte Tabari, nun tatsächlich verwirrt. »Er hat mir das Geld erst vor zwei Tagen gezahlt, und als ich von Tabarije abritt, sah ich ihn noch in der Menge.«
»Sobald Sie fort waren, hat er mit dem Kadi den anderen Weg genommen, über Safed. Der Mufti wünscht Sie sich fort von Tabarije.«
Dieser rotgesichtige Mufti, dieser hinterlistige Hund! dachte der Kaimakam Tabari. Er ist ein Gegner, mit dem man zu rechnen hat. Da muß etwas geschehen, jetzt sofort. »Exzellenz, der Mufti muß abgelöst werden.«
»Ich habe bereits dem Wali in Beirut geschrieben. Aber wie Sie wissen, Ibn Ahmed, solche Dinge.«
»Kosten Geld«, schloß Tabari. »Ich weiß, und darum habe ich Ihnen ein besonderes Geschenk mitgebracht, eine Goldmünze. Achthundert Jahre ist sie alt. Ich habe sie in Tabarije gefunden.«
Die Augen des Alten weiteten sich vor Gier, dann lächelten sie sehr freundlich durch den stickigen Dampf. »Eine großzügige Gabe, Ibn Ahmed. Ich glaube nicht, daß der Mufti Sie in Zukunft belästigen wird.«
Die beiden hohen Herren genossen wohlig die Hitze und sahen schläfrig zu, wie der Neger feuchte Handtücher brachte und sie ihnen um die Stirn legte. Dann goß er ihnen warmes Wasser über die Schultern und massierte sie mit kraftvollen Händen am ganzen Körper. Als er gegangen war, bemerkte der Alte: »In zwei Jahren werde ich mich vom Amt zurückziehen.«
»So früh?« fragte Tabari.
Nach einer langen Pause knurrte der alte Mutasarrif: »Ich werde mich auf einem Landsitz in der Nähe von Bagdad zur Ruhe setzen. Es ist ein herrliches Fleckchen.«
»Bagdad«, sagte Tabari. »Ich denke gern daran zurück.« Wieder schwiegen beide, und wieder versuchte der Jüngere zu erraten, was der Ältere im Schilde führte. »Es wird kostspielig sein, Leute für den Hof zu bekommen. Und all die anderen Dinge, die notwendig sind.«
Allah, Allah! stöhnte Tabari innerlich. Dieser alte Spitzbube will noch mehr Geld. Aber diesmal irrte er sich. Der Alte dachte an die langen Jahre seiner Beamtenzeit, und jetzt verlangte ihn nach nichts anderem als einem aufmerksamen Zuhörer.
»Während der letzten Wochen haben mich die Erinnerungen verfolgt, Ibn Ahmed, die Erinnerungen an die Orte, an denen ich Dienst getan
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