Die Quelle
Zerstreut begann er mit der Goldmünze zu spielen, die ihm Hakohen für den Talmud gezahlt hatte - so zerstreut, daß es ihm gar nicht bewußt wurde, denn immer noch galt seine Aufmerksamkeit dem tanzenden Juden.
Am nächsten Morgen zog Tabari mit seiner Karawane in Akka ein. Eigentlich wollte er sich sofort zu den Einwanderern begeben, um zu sehen, wieviel Bakschisch er aus ihnen herausholen konnte, mit der Begründung, daß ein Gesuch an die Hohe Pforte in Istanbul um Genehmigung der Ansiedlung auch am Wasser notwendig sei. Aber immer noch wirkte der Anblick des tanzenden Juden so nachhaltig, daß er die Regelung dieser Angelegenheit vorläufig aufschob. So tat er bis zum Nachmittag allerlei Unwichtiges. Dann endlich raffte er sich auf und ging zu der alten Karawanserei der Genuesen, wo die Juden Quartier genommen hatten. Dort fand er in Scholem und Jossadak Leute, mit denen sich vernünftiger verhandeln ließ als mit Mendel. Aber er war nicht mit Leib und Seele bei der Sache, und deshalb erpreßte er von ihnen nur ein Zehntel dessen, was er normalerweise hätte herausschlagen können. Eigentlich war er froh, das hinter sich zu haben, als er die Karawane verließ und sich nun zu den beliebten türkischen Bädern begab, die in dem alten Gebäude gegenüber der Zitadelle lagen. Dort erwartete ihn eine angenehme Überraschung. Der große farbige Wärter, dessen Blöße nur von einem Handtuch bedeckt war, hieß ihn willkommen und sagte: »Im letzten Raum befindet sich jemand, den Ihr vielleicht gern begrüßen würdet.« Tabari entkleidete sich schnell, begierig, endlich den Reisestaub von den Gliedern waschen zu können, und betrat den kleinen, ihm wohlbekannten, dampfgeschwängerten Raum mit den nassen Steinsitzen. Zuerst vermochte er nicht zu erkennen, wer hier auf ihn wartete, dann aber sah er durch die Dunstschwaden auf einer der Bänke die massige Gestalt des Mutasarrif von Akka sitzen. Der Mann war ein Koloß - Fettwulst um Fettwulst vom Kinn bis zu den Fußgelenken; er wirkte wie eine riesige Kröte, die einer Fliege auflauert.
»Mutasarrif Hamid Pascha«, rief Tabari. »Welch eine außergewöhnliche Freude.« Der dicke Mann mit dem selbstbewußt stolzen, dunklen Gesicht des Türken grunzte, und Tabari fuhr fort: »Ich bin eigens von Tabarije gekommen, nur um Sie zu sehen, und hier finde ich Sie!«
»Ich habe Sie erwartet«, sagte der mächtige Mann wie aus der Tiefe eines Brunnens. Er gab zu verstehen, daß Tabari sich neben ihn setzen solle. Da der Mutasarrif von Akka ein echter Türke war, Tabari jedoch nur ein Araber, bedeutete diese Geste mehr als bloße Höflichkeit.
Für den Kaimakam hatte dieser dämmrige Raum seine besondere Bedeutung. Denn hierher, wo Dampf und Dunst alle Konturen in ein Ungewisses Dunkel verwischten, hatte ihn der frühere Kaimakam von Tabarije mitgenommen, als er noch fast ein Knabe war. Hier war es auch geschehen, daß der seiner Leidenschaft verfallene Türke die Tür verschlossen und dem jungen Araber seine zügellose Begierde erklärt hatte. Auch später, als dieser Rausch sich gelegt hatte und Tabari der Schwiegersohn des Kaimakam geworden war, hatten sie wiederholt im gleichen Raum nebeneinander gesessen, nur waren ihre Beziehungen inzwischen andere geworden.
Wie alt der Mutasarrif Hamid aussieht, dachte Tabari. Wie sehr er meinem Schwiegervater in dessen letzten Jahren vor dem Tode ähnelt!
Der stämmige Neger brachte frisches Wasser und schüttete etwas davon über die Wände, um noch mehr Dampf zu erzeugen. »Möchten Sie etwas Rebensaft?« fragte der Mutasarrif, und als Tabari dankend bejahte, verschwand der Neger. Kurz darauf kehrte er mit gekühlten Gläsern zurück.
Während Tabari den purpurfarbenen Saft trank, dachte er noch einmal über das heikle Problem nach, das er zu lösen hatte: Wenn ich mich darauf verlassen könnte, daß der Mufti von Tabarije den Mutasarrif Hamid nicht über die dreißig englischen Pfund informiert hat, dann kann ich die gesamten dreißig Pfund für mich selbst behalten. Bin ich andererseits wirklich dessen sicher, daß der Mufti mich verraten hat, so kann ich mit einer schönen Geste diesem Hamid die gesamte Summe anbieten, bevor er überhaupt davon spricht - die beste Gelegenheit, mich in ein gutes Licht zu setzen. Wenn aber schließlich der Mufti doch zu ängstlich gewesen ist, dem Mutasarrif alles zu sagen, aber auch irgendwie den Eindruck erweckt hatte, daß eine Summe Geld unbekannter Höhe in andere Hände übergegangen war,
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