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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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habe. In Bagdad war es am besten. In Aleppo am interessantesten. Und in Bulgarien am schlimmsten. Wenn es nach mir ginge, würde ich Bulgarien freigeben und sagen: >Herrscht ihr selbst über euer verdammtes Land. Das soll eure Strafe sein!<«
    »Ich habe immer angenommen, am schlimmsten sei es in Griechenland«, meinte Tabari.
    »In Griechenland bin ich nie gewesen«, sagte der Alte. »Aber als ich vor drei Tagen das Schiff mit den Juden in den Hafen einlaufen sah, hatte ich das merkwürdige Gefühl, daß es mit denen noch viel schwieriger wird als mit Griechen oder Bulgaren. Faradsch ibn Ahmed, begehen wir vielleicht nicht doch einen großen Fehler, wenn wir so vielen gestatten, das Land zu betreten?«
    »Der Ferman ist unterzeichnet.«
    »Manchmal wird der falsche Ferman unterzeichnet«, sagte der Mutasarrif undurchsichtig. Er drückte das Handtuch aus und legte es sich über sein riesiges, feuchtes Gesicht.
    Kaimakam Tabari erkannte sehr wohl, was diese Feststellung bedeutete: eine Falle, in die er gelockt werden sollte. Aber er wußte nicht, was diese Falle sollte: Hat der Mutasarrif seine nicht eben sehr loyalen Worte vom falschen Ferman nur deshalb gesagt, um mich zu Äußerungen gegen die Hohe Pforte zu verleiten? Wenn es so ist, dann müßte ich derlei weit von mir weisen, denn es wäre ja eine Unbotmäßigkeit gegen den Sultan. Oder sind dem Alten endlich die Augen aufgegangen darüber, wie sehr das Reich verkommen und verrottet ist? Glaubt er wirklich ehrlich, daß etwas gegen diese Fäulnis geschehen muß? Wenn es so ist, muß ich ihm beipflichten, denn es steht ja in der Macht des Mutasarrif, zu bestimmen, wann meine nächste Beförderung erfolgt. Dem ist doch zuzutrauen, daß er mich zurückstellt, wenn ich nicht seiner Meinung bin. Ich muß also etwas sagen. Aber was? Was?
    Über diesen Gedanken, wofür er sich entscheiden sollte, begann Tabari hemmungslos zu schwitzen - und daran waren nicht die Dämpfe schuld. Trotz der Feuchtigkeit im Raum wurde seine Kehle trocken. In geradezu panischer Angst warf er einen Blick zum Mutasarrif hinüber, ob dem Alten anzusehen war, was er dachte. Aber der saß unbeweglich wie eine Kröte, das Gesicht wohlbedacht unter dem Handtuch. Verzweifelt zerbrach sich Tabari den Kopf, aber ihm fiel kein rettender Gedanke ein. Nur dies ging ihm durch den Kopf: Wäre ich doch so mutig wie Schemuel Hakohen, entschlossen, wenn es sein mußte, allen Widrigkeiten ins Auge zu sehen und zu handeln. Aber ich, ich verliere den Mut vor diesem schwerfälligen Klotz von Mutasarrif. Und doch - wenn ich es mir genau überlege, kann es nur so sein, daß der Alte mich zu irgendwelchen radikalen Äußerungen verleiten will. Deshalb faßte sich Tabari ein Herz, ballte die Fäuste und sagte: »Ich bin der Meinung, daß sich der Sultan gewöhnlich nicht irrt, wenn er einen Ferman unterzeichnet.« Unter seinem Handtuch hervor schnaufte der Mutasarrif Zustimmung. Er entblößte sein Gesicht, starrte Tabari mit seinen großen, verschleierten Augen an und sagte: »Es ist löblich für einen Araber, so zu denken. Heute morgen hat der Mufti versucht, mich zu überzeugen, daß Sie zu den Reformisten übergegangen sind.«
    »So ein Schwein!« Tabari war außer sich über diese Hinterhältigkeit, und doch freute er sich zugleich, daß er mit seiner Einschätzung des Mufti recht behalten hatte. »Normalerweise hätte ich ihn nicht einmal angehört«, fuhr der Mutasarrif träge fort, »aber vor zwei Tagen ist Ihr Schwager in Beirut gehängt worden. Als Verschwörer.«
    Tabari sackte zusammen, als sei ihm eine am Galgen schon zugezogene Schlinge plötzlich gelockert worden. Um ein Haar wäre er dieser alten Kröte in die Falle gelaufen! Hätte er falsch geantwortet, gab es jetzt nur noch eines für ihn: die Todesstrafe. Und so bewirkte dieses knappe Entrinnen nicht allein, daß er körperlich zusammensackte, sondern auch mit seinen Gewissensskrupeln Schluß machte: Alles, was sich bei ihm an eigener Meinung über notwendige Reformen herausgebildet hatte, alles das, was er bisher zugunsten seiner Beförderung sorgfältig maskiert hatte, mußte er ein für alle Male aufgeben. Mochten andere Männer sich der jungtürkischen Sache annehmen. Er nicht. Mochte Schemuel Hakohen die Zukunft gehören und nicht ihm. Vielleicht war das sogar der Grund, warum er den Juden an jenem Abend gerettet hatte. Mit kraftloser Hand griff er nach dem Tuch -jetzt war er es, der sein Gesicht bedeckte, daß niemand es sah. »Sie sind

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