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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Gegenteil: Mit dem Gleichmut der Verzückung stand er da, entblößte seine Brust und wartete auf die tödlichen Schüsse. Als ihm jedoch die Araber durch Gebärden klarmachten, sie hätten nichts Böses mit ihm vor, tanzte er wieder und ging gefügig mit ihnen den Hügel hinauf.
    Das gebrechliche Männchen stand nun vor dem Kaimakam. Alles auf dem Hügel grinste, denn dieser schwindsüchtige, gebeugte, bärtige Jude bot einen wahrhaft lächerlichen Anblick. An seinen Ohren hingen lange Locken herunter, sein Körper steckte in einem schwarzen Kaftan, der in der Mitte zusammengehalten war, die Hosen waren so, daß der Kaimakam sich nicht entsinnen konnte, jemals derartiges gesehen zu haben:    Sie    waren aus grauem Stoff mit
    auffallenden Längsstreifen und gingen, wie bei einem Knaben, nur bis an die Waden. Darunter sah man weiß gerippte Strümpfe; die Füße steckten in Schuhen mit Silberschnallen. Und dazu diese große, flache, mit braunem Pelz besetzte Kopfbedeckung! Man sah dem Manne an, daß er selbst in der schlimmsten Hitze des Tages gewandert sein mußte, denn sein Gesicht war völlig verschwitzt und verstaubt. Weit eindrucksvoller als Hosen oder Pelzkappe aber waren die durchdringend blauen Augen, die aus dem schmutzigen Gesicht leuchteten. »Fragt ihn, wer er ist«, befahl Tabari.
    Angehörige der Karawane versuchten es mit Türkisch, Ladino und Arabisch - erfolglos. Nur ein Reiter, der etwas Jiddisch verstand, brachte heraus, er heiße Mendel aus Berditschew und sei gekommen, sich auf seinem neuen Land anzusiedeln.
    Jetzt wußte der Kaimakam Tabari Bescheid. Das konnte nur einer von denen sein, die Schemuel Hakohen als die leitenden Männer der Siedlung bezeichnet hatte! Mit Männern wie diesem hier hatte er es also zu tun, wenn er den Juden weiteres
    Geld abpressen wollte - für das Nutzungsrecht auf das Wasser. »Frag ihn, was er hier so allein zu suchen hat«, knurrte Tabari.
    Der Dolmetscher verstand nur wenig von dem, was der Fremde antwortete, brachte aber doch wenigstens soviel heraus: »Er hat nicht auf die anderen warten können. Er wollte das Land sehen.«
    »Warum tanzt er?«
    »Vor Freude.«
    »Woher weiß er die Richtung?«
    »Er hat eine Karte.«
    Der Kaimakam wollte sie sehen. Mendel von Berditschew holte aus einer in Rußland gedruckten Thora eine Karte des Heiligen Landes zur Zeit des Alten Testaments hervor - sie war nicht schlechter als die von der türkischen Verwaltung in letzter Zeit herausgebrachten. Auch den Weg von Akka nach Galilaea zeigte sie, und ihm war der Jude gefolgt.
    Tabari war sich klar, daß es völlig hoffnungslos war, diesem armen Teufel auch nur das Geringste abnehmen zu wollen, und so fragte er: »Weiß er nicht, daß er von Banditen umgebracht werden kann?«
    Der Dolmetscher palaverte mit dem Fremden, aber dieser schien ihn entweder nicht zu verstehen, oder ihn berührte die Frage überhaupt nicht. Eine strahlende Zuversicht ging von ihm aus: Selbst wenn der Tod ihn daran hindern wollte, sein Stückchen Land zu erreichen - er würde nichts tun, sein Schicksal abzuwenden. »Er sagt«, erklärte der Dolmetscher, »daß er bei einem Aufstand in Rußland beinahe totgeschlagen worden ist, daß man ihm in Danzig sein Geld gestohlen hat, daß er auf dem Schiff dem Tod des Ertrinkens nahe war, aber daß er jetzt in Israel ist.«
    Der Kaimakam und der Einwanderer starrten einander einen Augenblick an. Verzückt blickten die blauen Augen des Juden tief in die dunklen Augen des Arabers. Er sah in ihnen kein
    Verständnis, aber auch keine Feindschaft. Widerstrebend sagte Tabari: »Sag ihm, er kann bei uns schlafen.« Es hatte keinen Sinn, ihn den räuberischen Beduinen auszuliefern.
    Aber der Jude war nicht zu halten. Er verbeugte sich vor dem Kaimakam, dem Dolmetscher und allen anderen Anwesenden. »Gebt ihm etwas Wasser«, ordnete Tabari an. Die Feldflasche des Juden wurde gefüllt. Und dann tanzte er davon, den Hügel hinab auf die Straße, das Gesicht gen Galilaea gewandt, und sprang vor Freude wie ein Besessener, als dringe durch die Sohlen seiner Füße eine seltsam beflügelnde Botschaft dieses Landes bis in sein Innerstes. Im Dämmerlicht wanderte er weiter ostwärts. Nachdenklich sah Tabari seine Gestalt langsam verschwinden. Was mochte diese Begegnung zu bedeuten haben? Merkwürdig: Dieser Fremde aus Berditschew hatte ihn mit den gleichen harten Augen angeschaut wie am Abend zuvor Schemuel Hakohen. Es war Tabari, als verfolgten ihn diese zwei Augenpaare.

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