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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Köpfen krachte, bauten alle an dem Damm, der das gierige Wasser staute. Ja - der Weizen war zu retten, wenn das Unwetter nachließ.
    In diesem entscheidenden Augenblick, als der Regen am stärksten niederrauschte und selbst den Eingang der Höhle verdunkelte, sah Ur, wie seine Frau mit müden Augen hinauf starrte zu den dunklen Wolken und rief: »Gewitter, geh fort! Geh fort und laß uns unsere Felder!« Niemand wußte später zu sagen, ob das Gewitter den Ruf gehört hatte oder nicht. Aber es zog ab, und das Wasser sank. Als alles vorüber war, setzte sich Ur verwirrt auf den nächsten Stein. Beinahe wäre sein Haus zerstört worden; sein Sohn aber war es gewesen, der geschickt den Damm gebaut hatte. Und zufällig sah er, wie seine Frau etwas sehr Sonderbares tat: Sie warf einige Handvoll Weizen in das wirbelnde Wasser. »Weib«, rief er, »was tust du?« Mit leiser Stimme antwortete sie: »Wenn das Gewitter uns den Weizen gelassen hat, müssen wir ihm wenigstens danken.«
    Ihm - dieses eine Wort bedeutete einen in die Zukunft weisenden Vorgang: Zum erstenmal hatte ein Mensch an der Quelle Makor den einer Naturgewalt innewohnenden Geist unmittelbar angesprochen wie einen anderen Menschen. Es war ein noch zaghaftes Bewußtwerden, daß es eine dem Menschen ähnliche Gottheit gab, daß man sich mit ihr verständigen, daß man sie besänftigen konnte. Urs Frau breitete die Arme weit aus und ließ die letzten Körner ins Wasser fallen. »Wir danken dir, daß du fortgegangen bist«, rief sie. Der Wind seufzte über ihren Köpfen. Sie hörte seine flüsternde Antwort. Dieser tastende Versuch, zu einer Ich-Du-Beziehung mit den außermenschlichen Gewalten zu gelangen
    - »ich bitte dich um Erbarmen« -, sollte von nun an das Leben der Menschen bestimmen, bis es eine Vielzahl von Göttern gab, denen mehr Wirklichkeit zukam als selbst den Menschen.
    Ur hatte begriffen, wie man die Felder vor den Fluten zu schützen hatte, und, mehr noch, daß man sich auf den Überfluß an Korn verlassen konnte, den die Felder für alle lieferten. So kümmerte er sich weniger und weniger um die Jagd, genau, wie seine Frau es vorausgesehen hatte. Ur begann zu sagen: »mein Feld«, »mein Haus«, und seine Gefühle dabei waren ganz anders als die, die er für die Höhle gehegt hatte. Die Höhle unter dem großen Felsen hatte weder ihm gehört noch sonst jemandem; keiner hatte sie gebaut, keiner an ihr etwas getan; er hatte lediglich einen Teil bewohnt, solange er mehr Nahrung mitbrachte, als er selbst verbrauchte. Mit dem neuen Haus war es anders. Es war sein Haus, nicht das seiner Brüder, die noch in der Höhle lebten. Die Felder gehörten ebenfalls ihm, denn er hatte sie bestellt und für sie gegen Flut und Himmel gekämpft, als das Gewitter tobte. Und dieses neue Gefühl, etwas zu besitzen, ließ Ur weitere Felder anlegen. Das Wort »Felder« allerdings könnte irreführen: Für Ur war ein Feld ein Stück Land, dessen Seiten nicht länger waren als die Spannweite seiner Arme, höchstens ein weniges Vielfaches davon. Und jetzt entdeckte er noch ein weiteres Geheimnis des Bodens - eines, das wesentlich war für allen zukünftigen Ackerbau: Wenn er seinen Weizen auf ein Feld nahe dem Hang säte, dann wuchs er zwar gut, denn er bekam genug Feuchtigkeit durch das vom Gestein ablaufende Wasser; bald aber wurde der Boden müde - es war, als nähre er die Halme boshafterweise nicht mehr genug - und brachte nur noch kränkliches Korn hervor. Wenn Ur jedoch seinen Weizen weiter unten im Wadi säte, dort, wohin der Regen alljährlich neuen, von den Hängen abgespülten Boden auf den alten schwemmte, so konnte er den erneuerten Boden Jahr für Jahr bebauen. So war Ur in einer Zeit, die noch nichts vom Dünger wußte, auf das gekommen, was später an Nil und Euphrat angewandt werden sollte: Man brauchte die Flüsse nur das Land überschwemmen zu lassen, damit sie neuen fruchtbaren Boden brachten. Ur konnte das nicht in Worten sagen, aber instinktiv war er gewiß, daß der Boden mit seiner Verjüngung zufrieden war. Also hackte er an tiefer gelegenen Stellen kleine Felder aus, wo sich der frische Schlamm jedes Jahr ablagern konnte. Gestärkt durch sein Geheimnis, das Land fruchtbar zu halten, war Ur noch enger mit ihm verbunden.
    Auf diese Weise unmerklich gezwungen, seine Felder zu bebauen und die Jagd zu vernachlässigen, spürte Ur ein leises Unbehagen darüber, daß sein Sohn so gar keine Lust zeigte, in die Wälder zu ziehen, wie er selbst es so

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