Die Quelle
Aber Gewehre. Wenn du Gewehre bekommst, bekommst du Israel.« Und eines Tages -noch immer hielt Gottesmann sich versteckt - kam Netanel eilig in das Zimmer und rief: »Du mußt fort. Meine Tochter kommt von der Universität zurück.« Ilana erschien, sie war etwas schlanker als damals in Jerusalem, noch reizender, wenn sie lächelte, und ganz und gar dem Ideal eines jüdischen Staates verschworen. Als sie Gottesmann packen sah, sagte sie: »Geh nicht.« Wenn er sich später an dieses Zusammentreffen erinnerte, dachte er hauptsächlich an ihre geistige und körperliche Spannkraft: Sie hatte nach vorn geneigt gestanden, auf den Zehenspitzen, nicht auf den Hacken. Auch ihr Kinn war vorgeschoben gewesen, wie das ihres hartnäckigen Großvaters auf dem Bild, und aus ihren Augen hatte, ganz anders als aus den Augen der Mädchen, die Gottesmann früher gekannt hatte, diese Spannung geleuchtet. Vor allem aber erinnerte er sich an ihre festen, runden Knie, die unter ihrem sehr kurzen Kleid hervorgesehen hatten, und an das Entzücken, in seinem Versteck diese Knie zu berühren und zu spüren, wie dieses Mädchen, dieses vor Spannung bebende, dieses nach dem Leben, nach dem Ruf dieser Zeit brennende Mädchen sich an ihn preßte. Jetzt lachte er leicht auf. Dieser Lärm in der Küche! Sie war eine fürchterliche Köchin, eine typische
Israeli, wie sie sich selbst nannte, sie verbrannte sich die Daumen, ließ das Fleisch anbrennen und haute das Essen auf den Tisch, wie es ihre Vorfahren vor viertausend Jahren auf die Holzbretter in ihren Zelten gehauen haben mochten, wenn sie von ihren Schafen aus der Wildnis kamen - genau hierher kamen. Was für ein herrliches Menschenkind sie doch war, seine Ilana, wie stark in ihrer Entschlußkraft. Und wie verzweifelt gern wollte ihr Mann sich endlich aus dem Krieg heraushalten, der ihn verschlang. Wie sehr sehnte er sich danach, mit seiner Frau ruhig hier in den Rebgärten zu leben. Und doch, trotz seiner Sehnsucht, mußte er sich eingestehen, daß er nicht einmal nach den menschenfreundlichen Gesetzen des Mose von der Teilnahme an diesem Krieg freigestellt werden konnte, denn er besaß zwar ein neues Haus und einen neuen Weinberg, aber er hatte doch eigentlich keine Frau: Er war mit Ilana nicht verheiratet. Nach den stürmischen Sitten dieser stürmischen Zeit war sie einfach zu ihm gezogen und hatte in der Siedlung verkündet: »Gottesmann und ich, wir leben jetzt zusammen.« Er hatte erwartet, ihr Vater werde dagegen protestieren, aber Netanel hatte kurzerhand zwei Zeugen gerufen, vor denen die beiden Liebenden die alte Formel sprachen: »Siehe, du bist mir angetraut nach dem Gesetz Israels.« Danach hatte Netanel gebrummt: »Ihr seid verheiratet. Bekommt viele Kinder.« Einige vorsichtige Nachbarn hatten gemeint, vielleicht würden Gottesmann und sein Mädchen die Heirat doch lieber von einem Rabbi aus Tiberias bestätigen lassen. Aber Ilana hatte verächtlich gesagt: »Wir haben genug von diesem Mickymaus-Kram.«
Mickymaus-Kram. Diesen Ausdruck hatte Gottesmann in diesem Zusammenhang für recht unpassend gehalten. Aber auf seine Frage: »Wo hast du das denn her, Mickymaus-Kram?« war sie schnell mit einer Erklärung bei der Hand gewesen: »Wenn du ins Kino gehst und die Trickfilme siehst, dann
kommt der Held immer in tausend Schwierigkeiten, aber am Schluß, wenn ganz fürchterliche Dinge passieren, erscheint die Mickymaus aus dem Nichts und rettet alles. Gottesmann, das gibt es aber nicht. Und ganz bestimmt nicht in Israel« - Ilana redete stets so, als existiere das neue Heimatland schon -, »weil niemand von irgendwo erscheinen wird, weder Gott noch Mose noch irgendein Rabbi. Laß ihnen also den Mickymaus-Kram. Aus den Bergen kommen eines Tages fünfzehntausend Araber, und darauf sollten wir uns vorbereiten.« Ihre Augen hatten geblitzt, als sie wiederholte: »Wir müssen uns darauf vorbereiten. Es kommt keine Mickymaus. Uns hilft kein Rabbi, der die Hände ringt und wimmert: >Israel ist verloren. Israel wird gestraft! <«
Gottesmann dachte an diesen Ausbruch und blickte lächelnd auf sein Heft.
Hinter ihm wurde jetzt die Tür aufgestoßen. Er hörte laute Schritte. Ein Tablett wurde auf den Tisch geknallt, ein Stuhl quietschend über den Steinboden geschoben. »Essen!« rief eine rauhe Stimme. Auf diese Weise servierte Ilana die Abendmahlzeit in Gottesmanns Haus.
Ilana Hakohen war nun einundzwanzig, eine nicht große, kräftige, aber keineswegs plumpe Frau. Ihre starken
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