Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
weißen Zähne glänzten wie eh, und wie immer sah sie kritisch in die Welt. Sie liebte ganz offensichtlich die Sicherheit und die Ruhe, die das Leben mit einem Mann ihr schenkte, und sie war stolz auf ihr neues Haus. Mit festen und doch liebevollen Händen schob sie die irdenen Töpfe auf dem Tisch umher und häufte eine großzügige Portion auf den Teller ihres Mannes. Es gab Fleisch und Gemüse, das mehr aus Zufall gargekocht war
    - er sehnte sich dabei oft selbst nach dem Essen in einem englischen Restaurant. »Iß nur alles«, sagte sie, »ich hebe etwas für Teddy Reich auf.« Dann beugte sie sich in einem plötzlichen Impuls über den Tisch und küßte ihren hochgewachsenen, ernsten Mann.
    »Machst du dir Sorgen wegen Safad?« fragte sie.
    »Auf jeden Juden in Safad kommen rund elf Araber«, erwiderte er düster. »Wenn es die richtigen Juden sind.«
    »Und überall sitzen die Araber in den günstigen Stellungen.«
    »Das tun sie immer«, sagte sie.
    »Der Kampfstärke nach sind sie vierzig gegen einen von uns.« Wenn Ilana kaute, behielt sie das Essen in kleinen Portionen rechts in ihrem Mund und bewegte ihre Kiefer nur ganz wenig, so daß sie ungewöhnlich nachdenklich aussah mit ihrer dünnen Oberlippe und den Fältchen, die sich um ihre Augen zusammengezogen. Sie dachte an diese Ungleichheit, vierzig zu eins, und an die Lage in Safad, die sie sehr genau kannte, und daran, wie wichtig diese Stadt für die Juden war. »Ich meine, Teddy Reich müßte heute nacht seine Palmachniks hineinbringen.«
    Isidor Gottesmann erstarrte sichtlich. Er hörte auf zu kauen und sah einen Augenblick auf das weiße Holz des Tisches. (Ilana hielt nämlich ein Tischtuch in Kriegszeiten für lächerlich überflüssig - sie dachte gar nicht daran, auch noch Tischtücher zu waschen, jetzt, wo es ganz andere Dinge zu tun gab.) Als ihr Mann nichts antwortete, sagte sie ruhig: »Und wenn Teddy seine Leute schickt, gehen wir beide auch.«
    »Ich denke, ja«, erwiderte er und aß weiter.
    Ilana Hakohen kannte Safad gut. Ihren Großvater hatte sie nie gesehen, denn er war lange vor ihrer Geburt von den Beduinen erschossen worden. Aber sie erinnerte sich deutlich an die glückliche Zeit damals, als ihr Vater sie auf dem Pferd mitnahm, den steilen Pfad nach Safad hinauf, von wo aus sie den See Genezareth und Tiberias sehen konnten. Und als sie einmal auf den Ruinen der alten Kreuzritterburg standen, hatte der Vater ihr von der Geschichte der Landschaft erzählt: Von hier oben konnten die Juden auf die große römische Stadt Tiberias hinabsehen; lange Bootsstege ragten damals in den See. Später war eine Gruppe bigotter Männer in Tiberias zusammengekommen, um den Talmud zu schreiben und »so die Welt in Ketten zu legen«. Er erzählte aber auch, daß nach einigen Jahrhunderten, um 900 n. Chr. eine viel bessere Gruppe von Rabbinen ebenfalls in Tiberias gewirkt habe: »Sie stellten den einzig wahren Bibeltext zusammen, so daß Tiberias für die Christen genau so wichtig ist wie für die Juden«. Aber seiner Meinung nach sollte man in dieser Gegend nur den Rabbi Zaki, den Märtyrer, verehren. »Er war ein großer, ein ehrlicher Mann«, sagte er, »und alle konnten ihm vertrauen.« Von den gegenwärtigen Rabbinen kannte er außer Rabbi Kook nicht viele, auf die diese Beschreibung zutraf. Er sagte seiner Tochter: »Denk immer daran, in diesem Land haben wir die besten Rabbinen, die man für Geld bekommen kann.« Netanel hielt sie für ein schlampiges, nicht sehr achtenswertes Grüppchen, und schon der alte Schemuel Hakohen hatte keinen nach Kefar Kerem hereingelassen.
    Das sollte jedoch nicht heißen, daß Ilana ohne religiöse Unterweisung aufgewachsen wäre. Im Haus ihres Vaters las man die Thora, wie man in einer gebildeten englischen Familie Shakespeare oder in einer deutschen Goethe liest - außer daß die Juden dieser Siedlung meinten, dieses Meisterwerk ihrer Literatur sei infolge seines Alters und seiner geschichtlichen Kraft etwas wirksamer als Shakespeare für die Engländer, Goethe für die Deutschen oder Tolstoi für die Russen. Es war kaum ein Tag in ihrer Kindheit vergangen, an dem Ilana nicht ein Gespräch über die Bibel als den historischen Hintergrund ihres Volkes gehört hatte. Sie wußte, daß Kefar Kerem da stand, wo einst die Kanaaniter geherrscht hatten, und daß die Juden auf ihrer sieghaften Rückkehr von Ägypten durch die Täler nordwärts und nach Westen gezogen waren. Sie konnte sich vorstellen, wie sie noch immer

Weitere Kostenlose Bücher