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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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etwa dreizehntausendvierhundert Arabern. Gottesmann, auf deutschen Gymnasien und englischen Universitäten erzogen, wußte sehr wohl, daß man genaue Zahlen und geschätzte nicht gleichsetzen soll; er hatte jedoch das phantastische Verhältnis von 11,1 Arabern gegen einen Juden errechnet. Diese Zahl konnte man sich leicht merken: elf Komma eins. Aber auch sie war irreführend, weil sie die Stärke der Juden größer angab, als sie in Wirklichkeit war. Denn die Araber hielten die Höhen und die strategisch wichtigen Punkte besetzt, so daß sie ihre überlegenen Waffen nach unten auf das jüdische Viertel richten konnten, während die eintausendzweihundertvierzehn Juden von Safad meist ältere, fromme Menschen waren, die sich entweder nicht verteidigen konnten oder es nicht wollten. Viele von ihnen waren überzeugt, Gott strafe die Juden noch immer für Sünden, deren sie sich selbst nicht bewußt seien, und diesmal seien die Araber von Ihm dazu ausersehen, wie Er in jüngster Vergangenheit die Deutschen und vorher die
    Kosaken unter Chmielnicki oder die Spanier unter der Inquisition Sein Werk habe vollführen lassen. Die Juden von Safad waren zum Tode verurteilt - das sagte die Thora. Und so saßen sie in ihren Synagogen und warteten auf die langen Messer, wie sie in der Vergangenheit gewartet hatten.
    Gottesmann blickte auf die düsteren Zahlen: Von den eintausendzweihundertvierzehn Juden in Safad waren nur einhundertvierzig bewaffnet, und nur zweihundertsechzig waren überhaupt fähig zu kämpfen. Das wirkliche Verhältnis zwischen den jüdischen Verteidigern und den arabischen Angreifern, die noch dazu von außen Verstärkung erhielten, mußte daher als vierzig zu eins angenommen werden. Trotz allem aber war die Einnahme von Safad durch die Juden eine Voraussetzung dafür, daß ein jüdischer Staat entstehen konnte, eine Voraussetzung für den Sieg in diesem Krieg, der die Gründung dieses Staates überhaupt erst möglich machen sollte. Denn Safad beherrschte infolge seiner Lage die Berge, und wie es den Kreuzrittern um 1100 als Bollwerk zum Schutz von Tiberias und der Straßen nach Saint Jean d’Acre gedient hatte und den Mamelucken im Jahre 1291 als Mittelpunkt ihrer Macht über ganz Galilaea, so war es jetzt, 1948, die entscheidende Stelle im gesamten Gebiet. Da die Vereinten Nationen das zahlenmäßige Übergewicht der Araber in Betracht gezogen hatten, war Safad selbstverständlich dem zukünftigen Araberstaat zugesprochen worden. Wenn die Stadt aber in arabischen Händen blieb, so war es um die Lebensfähigkeit des jüdischen Staates geschehen. Als sich daher die Zeit der britischen Mandatsregierung ihrem Ende zuneigte, wurde Safad für die Juden zum Schlüsselpunkt. Aber die Araber hielten es besetzt, in einem Verhältnis von elf Komma eins zu eins. Gottesmann schrieb seine letzten Notizen nieder und benutzte dabei die moderne Schreibweise Safad, ausgesprochen »Sfat«. Wie viele Orte in Galilaea hatte die
    Stadt zahlreiche Namen gehabt: Ursprünglich Sepph, dann Sephet, dann Safat; von den Kreuzrittern war sie Safet genannt worden, von den Historikern Safed, von den Arabern Safad, von den Kartenzeichnern Tsefat und von hebräischen Nationalisten Zefat. In ähnlicher Weise hatte das jetzige Acre Akka geheißen, Akcho, Ptolemais, war das Saint Jean d’Acre der Kreuzfahrer gewesen, und jetzt nannten es die Puristen Akko. Die bemerkenswerteste aller Namensänderungen hatte sich mit dem See von Galilaea ereignet, dem Galilaeischen Meer: Zuerst war er Chinneret genannt worden, da er die Form einer Harfe hatte, dann Kinnerat, dann See Genezareth, See von Tiberias, von Twerija, von Tabarija, Mare Tyberiadis bei den Kreuzrittern und bei den Türken Bahr Tabarije. Bei den Engländern hieß er Lake Galilee, und schließlich wurde sein Name Jam Kinneret (das zweite Wort wird auf der zweiten Silbe betont).
    Isidor Gottesmann hatte nun die letzte Zahl niedergeschrieben. Er schloß sein Heft und lehnte sich zurück. Ganz bestimmt, dachte er, wird Teddy Reich bei der Lagebesprechung mit seinen Palmach-Leutnants sagen: »Wir müssen Safad nehmen. Also los, Gottesmann.« Der unglückliche Soldat lächelte säuerlich: Jeder nennt ihn Teddy, aber zu mir sagen sie Gottesmann. Weil ich wie ein dürrer Engländer aussehe. Und weil ich es so will.
    Er dachte an die Zeit, als Engländer seinen Namen gerufen und damit über sein Schicksal entschieden hatten - in jener Nacht nach der Brückensprengung hinter der deutschen Grenze.

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