Die Quelle
ordentliche Hausfrauen. Sie lehnten es auch ab, Make-up zu tragen - das war das Vorrecht untätiger Frauen in dekadenten Ländern wie Frankreich und Argentinien. Es war ein Glaubensakt, sich nicht unter den Armen zu rasieren, keine Schminke zu nehmen, sehr kurze Röcke zu tragen, das Haar offen zu lassen und am Maschinengewehr oder am Granatwerfer zu exerzieren - wenn welche zur Verfügung standen und die Männer sie nicht gerade brauchten. Diese Mädchen sprachen fließend Hebräisch in einem erdhaft singenden Tonfall. Jiddisch verachteten sie als die Sprache der Ghettos Osteuropas, und Ladinisch war genauso schlimm. Diejenigen, deren Eltern kein Hebräisch konnten, ließen sich dazu herab, mit ihnen in deren Muttersprache zu sprechen, Russisch mit den russischen Immigranten, Polnisch mit den Neuankömmlingen aus Polen. Auf das Jiddische sahen sie jedoch herab. »Es ist ein lächerliches Zeichen der Unterlegenheit«, sagte Ilana kratzbürstig, »und die Nichtjuden haben recht, wenn sie sich darüber lustig machen.«
Es waren harte, wundervolle, faszinierende junge Menschen. Mochten sie auch ihre formale Religion aufgegeben haben -sie besaßen dafür etwas anderes, was von ihnen nicht weniger verlangte: Sie gingen völlig auf in dem Gedanken, einen neuen jüdischen Staat schaffen zu wollen. Israel sollte er heißen und sich auf soziale Gerechtigkeit gründen. In Kefar Kerem gab es keine Kommunisten, ja, es gab sogar solche, die den Kapitalismus vorzogen, weil er jedem jederzeit eine Chance bot, reich zu werden; die meisten allerdings vertraten Ilanas Standpunkt: »Unser Haus ist nicht eigentlich unser Haus. Es gehört der Siedlung, und wenn wir fortgehen, wird es einem anderen gehören, der wie wir ist, und das ist richtig so. Ich arbeite im Weinberg, und ich denke, er gehört mir; aber er gehört eben doch der Siedlung, und wenn ich nicht mehr hier bin, werden andere ihn bearbeiten. Wichtig ist nur, daß das Land besteht.«
Das war das Geheimnis der Gruppe: Das Land wird fortbestehen. »Vor viertausend Jahren gab es Juden in diesem Land«, erklärte Ilana oft, »und ich bin stolz, daß ich ein Glied in dieser Kette bin. Wenn ich nicht mehr lebe, werden mehr Juden für weitere tausend Jahre in unserem Land wohnen. Das Land allein ist es, das zählt.«
Sie erinnerte sich oft der Lehren ihres Großvaters, die in Kefar Kerem in einem kleinen, nach seinem Tod veröffentlichten Buch weiterlebten. Es erzählte von den großen Schwierigkeiten, die Schemuel Hakohen überwinden mußte, als er das Land erwarb, und von der Bedeutung, die es für jene Juden hatte, die als erste wirklich merkten, daß es ihnen gehörte:
»Ich traf sie, wie sie von Akka gezogen kamen; die Araber hatten sich am Tor von Tiberias versammelt, um sie hereinziehen zu sehen, und alle lachten, denn sie waren mager und unterernährt, und der Rücken so manchen Mannes war gebeugt vom Studium in den Jeschiwot von Berditschew. Nicht einmal die Juden von Tiberias dachten, daß diese Menschen auf einem Land leben könnten, das in manchen Jahren von der Dürre, in anderen von der Überschwemmung heimgesucht wird, und zu allen Zeiten von den Beduinen. Aber ich hatte geschworen, daß die Juden von Kefar Kerem - das war der Name, den ich der neuen Siedlung gegeben hatte - mit dem Land fertig würden. Und deshalb hielt ich sie dauernd dazu an, die Araber beim Feldbau zu beobachten und sich zu erinnern, wie es die Russen gemacht hatten. Es vergingen Wochen und Monate, ohne daß ich je das Wort Talmud gehört hätte. Das Wort Land aber stand zu jeder Stunde vor uns.«
Ilana hatte ihrem Mann erklärt: »Nachdem es sicher war, daß mein Großvater Erfolg haben würde, wollten viele fromme Juden sich hier niederlassen. Aber als sie sahen, wie entschlossen Schemuel war, Kefar Kerem als eine große ländliche Genossenschaft auszubauen und nicht als eine ländliche Synagoge, zogen sie verdrießlich nach Safad. Mein Großvater hat niemals den Bau einer Synagoge in Kefar Kerem erlaubt, und auch Kaufleute durften sich hier nicht niederlassen. Kefar Kerem war auch die erste Siedlung, in der Hebräisch gesprochen wurde. Schemuel hat die Sprache nie richtig beherrscht. Er sprach sie wie ein kleiner Junge, so haben es mir die alten Leute erzählt. Aber die Versammlungen hat er auf Hebräisch geleitet. Und mein eigener Vater war strikt dagegen, daß ich Jiddisch sprach. Jetzt bin ich ihm dankbar dafür. Natürlich habe ich die allgemein gebräuchlichen Wörter aufgeschnappt,
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