Die Quelle
für Tag, mit Ausnahme des neunten Ab - des Tages, an dem man die Zerstörung Jerusalems beweinte und die ganze Nacht hindurch Klagegesänge gelesen wurden -, versammelten sich die erwachsenen Männer der Gemeinde des Rebbe von Wodsch in der Synagoge und studierten den Talmud; da sie alle von Spenden aus dem Ausland lebten, hatten sie Zeit, im Kreis um ihren Rebbe zu sitzen, wenn er die Stellen aus den dicken Bänden auslegte. Einer der Wodscher Juden schrieb einmal nach Brooklyn: »Wenn ich vom Paradies träume, dann sitze ich an einem Winterabend in der Synagoge von Safad, draußen bedeckt Schnee die Erde, die Lampe flackert, und unser Rebbe legt den Talmud aus.«
Rebbe Itzik kannte das umfangreiche Werk auswendig, und die Angehörigen seiner Gemeinde brüsteten sich gern damit: »Unser Rebbe kann folgendes: Du nimmst einen Band des Talmud und stichst durch sechs Seiten, wo du willst. Unser Rebbe sieht die erste Seite an, schließt seine Augen und sagt dir, durch welche elf anderen Wörter du gestochen hast.« Der
Talmud, nach dem er lebte, gab auf jede nur denkbare Frage eine Antwort - allerdings mußte man jetzt, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, die Worte hier und da ein wenig drehen und wenden, um zu einer klaren Bestimmung zu kommen. Aber Rebbe Itzik war dem nicht abgeneigt, denn er fand die große Gesetzessammlung immer wieder überraschend zeitgemäß: »Rabbi bar Mechasia sagte im Namen des Rabbi Chama ben Goria, der im Namen von Rab sagte: >Wenn alle Meere voll Tinte wären und alles Rohr Schreibfedern und der ganze Himmel Pergament und wenn alle Menschen schreiben könnten, so wäre es nicht genug, all die Vorschriften dieses Gesetzeswerkes aufzuzeichnen.c«
Das bemerkenswerteste Kennzeichen jedoch, in dem sich Rebbe Itzik und seine Gemeinde von den anderen Juden Safads unterschieden, war, daß sie ganz entschieden das Hebräische nur als heilige Sprache benutzten. Aus der Thora und dem Talmud hatten sie die Überzeugung gewonnen, man dürfe Hebräisch nicht als Alltagssprache sprechen; erst nach dem Kommen des Messias sei dies erlaubt. Bis dahin aber bleibe es allein religiösen Zwecken vorbehalten. Um diese Ansicht noch stärker zu betonen, pflegte Rebbe Itzik zu sagen: »Siehe: Im Talmud selbst ist nur die Mischna, das Gesetz des HErrn, auf Hebräisch geschrieben. Die Gemara, die Auslegung der Rabbinen, steht dort auf Aramäisch. Was der Talmud nicht tut, tun wir auch nicht.«
Deshalb sprachen die Wodscher Juden außerhalb der Synagoge nur Jiddisch, und sie fühlten sich verletzt, wenn andere sie auf Hebräisch anredeten. Gelegentlich hatte Rebbe Itzik die Leute, die sich in dieser Sprache an ihn wandten, sogar gescholten, und er war so weit gegangen, seinen Anhängern nicht zu erlauben, in den Eisenbahnzügen der englischen Mandatsregierung zu fahren, weil ihre Fahrkarten in hebräischer, arabischer und englischer Schrift gedruckt waren. Solange Palaestina in britischen Händen blieb, stießen die Absonderlichkeiten der Gruppe um Rebbe Itzik auf keinen Widerstand. In Jerusalem warfen Juden, die sich ebenso streng wie die Wodscher an den Talmud hielten, manchmal Steine auf Krankenwagen, die am Sabbat fuhren; im Wodscher Teil von Safad freilich waren die Straßen so eng, daß überhaupt kein Wagen hineinfahren konnte, und so gab es dort diesen Grund zum Ärgernis nicht. Aber 1948, als sich in Palaestina ein jüdischer Staat bildete, kamen die Schwierigkeiten zutage. Rebbe Itzik sah solch einem Staat voller Furcht entgegen; die Vorstellung, daß er den Namen »Israel« tragen könne, war ihm unerträglich. Er sagte den Seinen: »Der Gedanke allein ist schon ein Greuel. Es darf nicht geschehen.« In seiner Ablehnung eines jüdischen Staates wurde er so heftig, daß er lästig zu werden begann; als einige junge Männer seiner Gemeinde wirklich davonliefen und im Kibbuz Makor dem Palmach beitraten, verurteilte er sie, als seien sie zu einem anderen Glauben übergetreten. »Es darf kein Israel geben«, rief er. Den Grund für seine sonderbare Reaktion fand Rebbe Itzik in der Thora. Gott hatte die Kinder Israel wiederholt in die Zerstreuung verdammt: »Euch aber will Ich unter die Heiden streuen. daß euer Land soll wüst sein und eure Städte zerstört.« Jerusalem sollte vom Feind besetzt sein, was bedeutete, daß die Araber im Heiligen Land Gottes Willen erfüllten - sich ihnen zu widersetzen, das war Lästerung. Und weiter: Das Heilige Land sollte erst dann den Juden wieder gehören, wenn der
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