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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Juden; einige der jungen Leute waren zwar in die betriebsamen Städte gegangen, doch gehörten zur Gruppe des Rebbe noch immer mehr als sechzig Menschen, die fest entschlossen waren, den Allmächtigen nach den Regeln der Thora zu verehren, wie sie ihr Wodscher Rebbe auslegte. Seine Theologie war einfach. Er glaubte wortwörtlich das große Gebot des Mose, unseres Lehrers: »Höre, Israel, die Gebete und Rechte, die ich euch lehre. Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf daß ihr bewahren möget die Gebote des HErrn, eures Gottes, die ich euch gebiete.« Für Rebbe Itzik war dieses Gebot klar und allumfassend. Es bedeutete genau, was es sagte. Ein Jude soll dem Gesetz gehorchen, wie es Mose von Gott gegeben worden ist. Das Gesetz steht in der Thora, die sechshundertdreizehn Gebote enthält, von den ersten erhabenen Worten zu Beginn der Schöpfungsgeschichte: »Seid fruchtbar und mehret euch«, bis zu dem letzten Befehl an Mose, unseren Lehrer, als er angesichts des Gelobten Landes im Sterben lag: »... aber du sollst nicht hineinkommen.« Zwischen dieser Größe und dieser Tragik liegt das ganze Gesetz eingeschlossen, das der Mensch braucht, die Aufzählungen im Dritten Buch Mose, die Wiederholungen im Vierten und die endgültigen Zusammenfassungen im Fünften. Rebbe Itzik kannte alle diese Gesetze auswendig, und ihre Worte waren ihm lieb und teuer: »Wenn ein Fremdling bei dir in eurem Lande wohnen wird, den sollt ihr nicht schinden.« -»Wenn jemand dem HErrn ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, daß er seine Seele verbindet, der soll sein Wort nicht aufheben, sondern alles tun, wie es zu seinem Munde ist ausgegangen.«
    Auf diese Gesetze der Thora muß der Mensch sein Leben aufbauen. Der Ritus bei seiner Geburt ist darin erklärt und die Art und Weise seiner Bestattung festgelegt. Seine Liebe zu einer Frau ist durch Vorschriften des Schicklichen eingegrenzt, seine Beziehungen zu seinem Sohn, seinen Geschäftsfreunden, seinem König sind genau bestimmt. Rebbe Itzik war es zufrieden, wenn ein Jude sich strikt innerhalb der Grenzen dieses Gesetzes hielt, und die Gemeinde von sechzig Menschen, die er um sich versammelt hatte, war bereit, dies zu tun. Das Leben, wie Rebbe Itzik es ihnen vorschrieb, war etwas anders als das der übrigen Juden von Safad. Schon durch ihre Kleidung fielen sie auf: Sie sahen wie Geister aus uralter Zeit aus, lang und schwarz das Gewand, flach und pelzverbrämt der Hut, die Hosen kürzer als üblich und grobgestrickt die Strümpfe. Sie trugen Bärte und schwarze Kappchen, und sie gingen noch immer gebeugt, wie damals, als sie im Ghetto leben mußten. Ihr Alltagsleben war im großen und ganzen dasselbe, das die Juden von Safad vor vierhundert Jahren geführt hatten: häufige Synagogenbesuche und strenge Befolgung der komplizierten Speisevorschriften. Am Sabbat jedoch unterschied sich diese kleine Gruppe frommer Juden, deren Leben um Rabbi Zakis alte Werkstatt kreiste, von allen anderen Bewohnern Safads ganz besonders.
    Kein Feuer durfte angezündet werden und kein Licht. Die Juden des Rebbe von Wodsch kochten kein Essen und benutzten kein Fahrzeug. Nur tausend Schritte durfte man von seinem Haus aus gehen, und man durfte nichts bei sich tragen; war man erkältet und brauchte ein Taschentuch, so wurde es um das Handgelenk gebunden, als gehöre es zur Kleidung -aber getragen durfte es nicht werden. An diesem Tag durfte ein Mann noch nicht einmal seinen Gebetsmantel zur Synagoge mitnehmen. Die Knaben aus der Gruppe Rebbe Itziks unterschieden sich von den anderen jungen Juden besonders auffallend durch ihre langen und oft feinen Locken, die vor ihren Ohren herabhingen, und durch das viereckige Tuch, das über den Kopf gezogen und in das Hemd gesteckt wurde. Das Tuch hatte Quasten, jene »Schaufäden«, die Gott Selbst in der Thora gefordert hatte: »Rede mit den Kindern Israel, sprich zu ihnen, daß sie sich Quasten machen an den Zipfeln ihrer Kleider. daß ihr sie ansehet und gedenket aller Gebote des HErrn und tut sie.«
    Aber so mächtig Rebbe Itzik auch war, indem er das Leben seiner Gemeinde bestimmte - er war keineswegs stolz; niemals war ihm der Gedanke gekommen, daß er aus sich selbst weise genug sei, Gottes Thora auszulegen, und es war deshalb seine ständige Pflicht, den Talmud zu studieren und darin die Gebote zu finden, welche die Juden für mehr als fünfzehnhundert Jahre zusammengehalten hatten. Das ganze Jahr hindurch, Tag

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