Die Quelle
drohender Stimme.
»Wir werden den Staat bekommen, und dann kümmern wir uns um Gott und Sein Passahfest«, entgegnete sie.
Diese Gotteslästerung war fürchterlich. »Wenn wir nicht zu den alten Sitten zurückkehren, wird jedes Israel, das ihr bekommt, wie Asche in eurem Mund.« Diese Art der Begründung war Ilana widerwärtig; voll Verachtung fragte sie: »Rebbe Itzik, glauben Sie wirklich, daß veralteter Kram aus dem Polen vor dreihundert Jahren Gottes Willen darstellt?«
»Was willst du damit sagen?« fauchte der alte Mann.
»Ihre Tracht. So etwas hat es in Israel niemals gegeben. Das kommt geradenwegs aus dem polnischen Ghetto.«
»Die Quasten.«, schrie der Rebbe.
»Der Mantel«, unterbrach sie ihn mit amüsierter Ablehnung. »Der stammt nicht aus Israel, und wir wollen ihn hier nicht.
Dieser Pelzhut. Das Schwarze. Diese Düsternis. Alles, alles aus dem Ghetto.«
Rebbe Itzik trat erschreckt zurück. Dieses freche Mädchen stellte die heiligen Symbole seines Lebens in Frage, die ehrwürdigen Traditionen der heiligen Männer von Wodsch. »Dies ist des HErrn Kleid.«, begann er. »Sagen Sie mir nur das nicht!« rief sie und ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. »Es ist ein Zeichen der Schande, das uns die christlichen Machthaber aufgezwungen haben.« Und da verlor sie für einen Augenblick die Gewalt über sich, so entsetzt war sie darüber, was dieser kleine verschreckte Mann ihrem zukünftigen Land Israel anzutun gewillt war. Unglücklicherweise sah sie zufällig auf die Rebbezin, die an dem gleichen Herd stand, an dem Elischewa von Gretsch gestanden und für ihre drei verwaisten Kinder gesorgt hatte, die später so viel in Israel erreichten -und in dem Augenblick der Wut fuhr sie mit der Hand über den Kopf der alten Frau. Schamübergossen stand die Rebbezin da. Ihr kahlgeschorener Kopf mit all seinen Buckeln und Adern war entblößt. Ihre Perücke lag auf den Steinfliesen.
»Der Allmächtige möge dir vergeben«, flüsterte der Rebbe mit schmerzerstickter Stimme, entsetzt darüber, daß ein jüdisches Mädchen so etwas tun konnte. Dann beugte er sich, hob die Perücke auf und gab sie seiner Frau. Die Rebbezin setzte sie ungeschickt auf ihren kahlen Kopf und tastete nach dem Rand, um ihn an den Schläfen in die rechte Lage zu bringen. Sie sah so mitleiderregend und lächerlich zugleich aus, daß ihr Mann die Perücke mit einem kleinen Stoß zurechtrückte.
»Geh. geh«, flüsterte er heiser auf Jiddisch.
Aber nachdem Ilana das nun einmal getan hatte, dachte sie nicht daran zu gehen. »Wo steht so etwas im Talmud?« rief sie. »Im mittelalterlichen Polen haben sie die Köpfe der Bräute geschoren, damit die christlichen Adeligen sich nicht ihr Recht herausnahmen, mit ihnen in der Hochzeitsnacht zu schlafen. Um sie häßlich zu machen. abstoßend für jeden außer dem eigenen Mann. Aber ihr. ihr laßt bis auf den heutigen Tag eure Bräute die Köpfe rasieren, um sie häßlich zu machen, und dann kauft ihr ihnen Perücken, um sie schön zu machen. Was ist das für ein Mickymaus-Unsinn!«
»Geh«, flüsterte der Rebbe noch einmal. »Ein jüdisches Mädchen, das eine alte Frau beleidigt. Was für ein Israel baut ihr auf?« Mit unerwarteter Kraft stieß er das Palmach-Mädchen, die Sabra mit dem langen, offenen Haar, aus seinem Haus.
Ilana stand einige Minuten auf der dunklen Straße. Aus den Häusern nebenan hörte sie die vertrauten Geräusche der Passah-Feier, die selbst in dieser Stunde der Not begangen wurde. Was hatte sie getan? Sie sah die kahle Rebbezin, sah die Perücke im Staub. Plötzlich preßte sie ihr Gesicht in die Hände. Ein Schauer überlief sie. Sie fühlte sich elend und verlassen.
So stand sie da, als Gottesmann von der Barrikade kam, um etwas zu essen. Er zog ihre Hände vom Gesicht und sah, daß sie weinte. »Was ist geschehen, Lan?« fragte er.
»Ich habe geschlagen.« Sie konnte es nicht aussprechen, aber ihr Mann erriet, daß es mit dem Wodscher Rebbe zu tun haben mußte. Behutsam küßte er sie und sagte ihr, sie solle hier bleiben. Dann öffnete er leise die Tür und trat in das Haus des Rebbe. Nach einer Weile kam er zurück, sehr ernüchtert, und nahm Ilana bei der Hand.
»Wohin gehen wir?« fragte sie. »Um uns zu entschuldigen.«
»Nein!« widersprach sie.
»Du kommst hierher«, flüsterte er, wilde Erregung in seiner Stimme. Er zog die sich sträubende Ilana vor die alte Rebbezin. »Meine Frau will sich entschuldigen«, sagte er auf Jiddisch.
Schweigen. Er preßte
Weitere Kostenlose Bücher