Die Quelle
April - es war der Vorabend des zweiten Sabbat, den Bar-Els Truppe in Safad verlebte - hatte der MemMem das sichere Gefühl, daß die Araber einen Angriff vorbereiteten. Seine Befürchtung war, sie würden am Samstag angreifen, weil sie an diesem Tag die Juden im Gottesdienst vermuteten. Am Freitagnachmittag rief er deshalb alle verfügbaren Leute zusammen und ließ eine weitere Barrikade bauen; schweigend trugen die Juden Steine und Bretter herbei. Da tauchte Rebbe Itzik aus der Dämmerung auf. »Was tut ihr am Sabbat?« fragte er besorgt auf Hebräisch. »Wir bauen eine Mauer«, antwortete Bar-El. »Aufhören!« schrie Itzik.
»Rebbe, gehen Sie heim zu Ihren Gebeten!« sagte Bar-El in bittendem Tonfall. Der aufgebrachte Rebbe wollte jedoch die Männer von der Fortsetzung ihrer Arbeit abbringen, und sein lebhafter Protest konnte womöglich die Aufmerksamkeit der Araber erregen. Deshalb preßte MemMem eine Hand auf den Mund des Rebbe, drehte den kleinen Mann um und schob ihn Nissim Bagdadi hin.
»Bring ihn weg«, befahl Bar-El.
Der irakische Jude wog mindestens zweimal so viel wie der Rebbe. Mühelos trug er ihn fort und drängte ihn in die Schuhmacherwerkstatt. Dann rief er Ilana zu: »Paß auf, daß er zu Hause bleibt. Wir müssen unsere Barrikade bauen.« So ging Ilana in das Haus des Rebbe und saß in grimmigem Schweigen bei ihm, bis die so dringend notwendige Arbeit fertiggestellt war. Als die Dunkelheit hereinbrach, sagte der alte Mann auf
Jiddisch: »Der Allmächtige wird diese Mauer verfluchen. Der Allmächtige wird jedes Heer verfluchen, das den Sabbat nicht heiligt.« Aber die wahre Krise kam erst mit dem Passahfest. Der arabische Druck hatte sich verstärkt, und deshalb bestand der MemMem darauf, zwei gefährdete Häuserreihen durch Barrikaden zu sichern, selbst wenn andere Häuser abgerissen werden mußten, damit man genügend Steine hatte. Begonnen wurde mit der Arbeit am Vorabend des Passahfestes. Rebbe Itzik war völlig außer sich, als er den Lärm von Hacken und Schaufeln hörte. Er lief zwischen den Arbeitenden hin und her, die Quasten seines Gebetsmantels flogen ihnen in die Augen und mahnten sie an die Väter, die an diesem heiligen Tag nichts als gebetet hatten. Mit flehender Stimme bat er, diesen Tag nicht zu entweihen. Aber als Antwort hörte er nur, Rabbi Goldberg und Raw Loewe hätten eingesehen, wie groß die Gefahr sei, und deshalb die Erlaubnis gegeben, am Passahfest oder am Sabbat zu arbeiten. »Und so arbeiten wir«, sagte ein Mann.
Rabbi Goldbergs und Raw Loewes Entscheidung war bereits seit fast zweitausend Jahren jüdischer Geschichte anerkannt. Denn schon die Griechen und die Römer hatten aufgrund der Erfahrung, daß die Juden am Sabbat nichts taten, immer wieder diesen Tag für ihre Angriffe gewählt und dank dieser Taktik oft genug mit Leichtigkeit gesiegt, bis zu Akibas Zeit von den Rabbinen die Regel aufgestellt worden war, daß ein Mann oder das ganze Volk bei Lebensgefahr jedes Gebot der Thora übertreten dürfe mit Ausnahme der Gebote über Mord, Unkeuschheit und Gotteslästerung. Auf diese Rechtslage gestützt, hatte MemMem Bar-El die Rabbinen um eine Erklärung gebeten dahingehend, daß die gegenwärtige Belagerung eine solche tödliche Gefahr darstelle; sie hatten ihm zugestimmt. Die Soldaten durften arbeiten. Für Rebbe Itzik aber war das Gesetz heiliger als jede Maßnahme zum
Schutz eines noch gar nicht bestehenden Staates, der zudem kein Recht zu bestehen hatte. Und so lief er durch die Straßen und rief Verwünschungen auf die Arbeiter herab.
»Bringt ihn weg«, befahl Bar-El. Wieder mußte Ilana dafür sorgen, daß der alte Mann in seinem Haus blieb. Dort ereignete sich jedoch ein sehr bedauerlicher Zwischenfall, von dem Ilana noch oft wünschen sollte, daß er sich nie ereignet hätte. Ilana und Bagdadi führten den Rebbe nach Hause und wehrten dabei seine frommen Gläubigen ab, die immer wieder zeterten: »Was tut ihr mit unserem Rebbe?« Bagdadi kehrte zur Arbeit an den Barrikaden zurück. Im Schuhmacherladen jedoch, in dem Rabbi Zaki, der Märtyrer, den Menschen von Safad seine Weisheit dargeboten hatte, saß Ilana mit dem blauäugigen Rebbe von Wodsch und hinderte ihn an fast allem, was er tun wollte. »Ich muß in die Synagoge«, sagte er protestierend.
»Sie waren in der Synagoge. Und Sie sind weggegangen, um Unruhe zu stiften. Setzen Sie sich.«
»Glaubst du, der HErr wird einen Staat segnen, in dem man am Passahfest arbeitet?« fragte er mit
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