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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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sich drehende Scheinwerfer auf dem Dach der Polizeistation mit seinem Lichtkegel die Stufen faßte, hatten Juden und Araber gleichermaßen Angst, die Treppe zu überqueren und einander zu belästigen.«
    Am 16. April 1948 jedoch änderten sich die Dinge rasch. Nachdem die Engländer in einer bewegenden Feier den Arabern die Schlüssel zu allen Befestigungen, allen hochgelegenen und geschützten Punkten der Stadt übergeben hatten und unter Dudelsackmusik abmarschiert waren, konnte es keinen Zweifel mehr geben, daß der Kampf um Safad an der Treppe beginnen mußte. Wenn die Juden hier standhalten konnten, hatten sie eine Chance, die Stadt zu nehmen. Die arabischen Kugeln pfiffen über die glatten grauen Stufen. Die abziehenden Engländer hatten nach London gemeldet, innerhalb von drei Tagen würden alle Juden hingeschlachtet sein. Die Araber glaubten, sie könnten das jüdische Viertel in zwei Tagen überrennen. Von allen Seiten drückten sie unerbittlich und immer stärker auf die Juden. Schon in der ersten halben Stunde des Kampfes mußten viele jüdische Familien die Häuser räumen, die der schönen Treppe am nächsten lagen. Arabische Späher meldeten: »Sie gehen zurück!«
    Kugeln klatschten in die Lehmziegelmauern der jüdischen Häuser. Nach einer Stunde war kein Jude mehr auf der anderen
    Seite der Treppe zu sehen. Der arabische Kommandeur, überzeugt davon, daß es für die Juden einen schweren Schock bedeuten mußte, wenn er jenseits der Treppe einen Brückenkopf bilden konnte, gab Befehl zum Angriff in Kompaniestärke. »Itbah il Jahud - Schlachtet die Juden!« schrien die Syrer, die Iraker, die Libanesen, als sie über die ungedeckte Treppe vorwärtssprangen.
    Im nächsten Augenblick tauchten überall junge Juden und Jüdinnen auf, denn genau diesen arabischen Angriff hatte MemMem Bar-El erwartet und seine Leute entsprechend Stellung beziehen lassen. Ilana Hakohen trat aus einem leeren Haus und schoß in tödlicher Ruhe. Die kleine Vered mit ihrem Käppi kam mit knatternder Maschinenpistole herbeigestürzt. Gottesmann und Bar-El erhoben sich hinter einem Schutthaufen und warfen Handgranaten, während Nissim Bagdadi, wie immer lächelnd, von einem Dach schoß. Überrascht zogen sich die Araber zurück. Anfangs versuchten sie noch, ihre Verwundeten über die Treppe zu ziehen, gaben es aber bald auf.
    »Feuer einstellen!« schrie Bar-El, und sofort verschwanden die Juden. Von der Treppe her hörte man nur noch das Wimmern eines jungen Arabers aus Mosul. Und im Araberviertel flüsterte man: »Mädchen haben gekämpft. Mit Gewehren.« An jenem Abend wußte man auf beiden Seiten: Wenn es wirklich zu einem Massaker unter den Juden von Safad kommen sollte, dann wurde es auf keinen Fall eine so leichte Angelegenheit wie früher.
    In den folgenden Tagen ließ MemMem Bar-El die gesamte jüdische Bevölkerung von Safad am Außenrand des jüdischen Viertels Befestigungen bauen. Gräben wurden ausgehoben, um Stützpunkte miteinander zu verbinden; Häuser wurden niedergerissen, damit sich keine arabischen Heckenschützen darin einnisten konnten; Straßensperren wurden errichtet.
    Hundertdreiundsiebzig bewaffnete Juden gruben sich ein, um den Ansturm von sechstausend arabischen Soldaten abzuschlagen. Jedem Mann und jeder Frau war eine Aufgabe zugewiesen. Und alle hielt Bar-El mit seinem trotzigen Optimismus aufrecht.
    Nur auf Rebbe Itzik vermochte er keinen Eindruck zu machen. Der Rebbe weigerte sich, an dem gottlosen Werk teilzunehmen. Jeden Morgen, schon in der Dämmerung, begab er sich mit seinen zehn Ältesten in die Wodscher Synagoge, um über die bevorstehende Zerstörung Safads zu meditieren. Aus der sich stets wiederholenden Geschichte konnten die elf Juden - wie immer trugen sie ihre pelzverbrämten Mützen -sich die Vorbilder für ihre letzten Minuten vor dem Tod auswählen. Von allen Religionen hat das Judentum als einzige ein besonderes Gebet, das man sprechen muß, »wenn das Messer an der Kehle sitzt und die Flammen an den Füßen lecken«. Und dieses letzte Glaubensbekenntnis war durch die Jahrhunderte gesprochen worden, »um den Heiligen Namen des Allmächtigen lobzupreisen«. Solchen, die von den Händen anderer fielen, war stets besondere Gnade zuteil geworden, wenn sie dabei ihren Glauben an den Einen Gott bekannten. Und Rebbe Itzik war entschlossen, der glorreichen Geschichte jüdischen Märtyrertums ein neues Kapitel hinzuzufügen.
    Um so bestürzter war er am Montagmorgen, als er in seiner Synagoge

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