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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Klein-Vered ist verdammt müde geworden.««
    Ihre Worte hatten eine derart erschreckende Wirkung auf Eliav, daß Cullinane befürchtete, der neue Minister werde sie schlagen. Aber Eliav ballte nur die Fäuste und sagte kalt: »Wie kannst du dich von allem abwenden, wofür wir gekämpft haben? Erinnerst du dich nicht mehr an Safad?«
    Vered sprach verhalten, wie jemand, der sein eigenes Stückchen Wahrheit gefunden hatte, ganz gleich, wie kümmerlich es auch sein mochte: »Ob ich mich daran erinnere? Eliav, es kommt mir vor, als ob wir Juden unser ganzes Leben nur mit Erinnerungen verbringen. Jetzt erst merke ich plötzlich, daß ich es satt bin, in einem Lande der ständigen Erinnerungen zu leben. Mein Jahr in Jerusalem beginnt mit Rosch ha-Schana. Da muß ich mich also zu Neujahr an Abraham vor viertausend Jahren erinnern. Dann kommt Jom Kippur, das Versöhnungsfest, das uns an überhaupt alles erinnert. Das Laubhüttenfest, und wir erinnern uns der Jahre in der Wüste. Wie eine große Bronzeglocke, die alle Kirchen Jerusalems übertönt, zählen wir unsere Tage und erinnern uns unserer Schmerzen. Natürlich gibt es auch ein paar glückliche Tage. Simchat Thora. Gesetzesfreude. Chanukka, wenn wir uns an den Sieg der Makkabäer erinnern. Wir haben den Tag des Baumes, und da erinnern wir uns der jungen Wälder. Und an Purim erinnern wir uns an Persien vor dreitausend Jahren, und am Passahfest denken wir an Ägypten, noch viel weiter zurück. Lag Ba-Omer. da erinnern wir uns an die Gesetzeslehrer. Schawuot. da erinnern wir uns an die Offenbarung auf dem Sinai. Und am neunten Ab erinnern wir uns trauernd an die Zerstörung Jerusalems. Wann haben wir es verloren? Vor zweitausend Jahren. Wir haben noch mehr Tage der Erinnerung, da wir Herzls gedenken, der Studenten, der Sozialisten, der Vereinten Nationen, und wir erinnern uns auch an die tapferen Männer, die für die Verteidigung Jerusalems 1948 gefallen sind. Und einen Unabhängigkeitstag haben wir auch. Jahrelang habe ich mich pflichttreu erinnert und es für selbstverständlich gehalten, mein Leben mit Wehklagen über die tote Vergangenheit zu verbringen und Ereignisse zu bejammern, die schon so unendlich lange her sind. Es war eine Last, aber es war unsere besondere, eine unumgängliche jüdische Bürde, und ich hatte mich damit abgefunden.
    Und dann bin ich nach Chicago gegangen. Und ich habe den gräßlichen Leuchter des Todes durch ganz Illinois geschleppt, habe Vorträge gehalten in jüdischen Frauenclubs, über die sich die Israelis so gern lustig machen. Wißt ihr, was ich dort entdeckt habe? Daß zu den besten Menschen, die diese Welt hervorgebracht hat, die jüdischen Frauen von Illinois gehören. Sie führen ein wundervolles, ausgefülltes Leben, ohne an Persien, Ägypten, die Makkabäer, die Wüste Sinai und an Jerusalem zu denken. Sie arbeiten für ihre Museen, dafür, daß ihre Krankenhäuser erweitert werden, stellen sich dem Elternbeirat der Schulen zur Verfügung und begleichen das Defizit ihres Symphonieorchesters. Sie tun wirklich alles, um die Welt, in der sie leben, noch besser zu gestalten. Ohne die Leistungen der jüdischen Frauen wäre der Staat Illinois ein Schutthaufen. Die einzige Sache, an die sich diese Frauen erinnern müssen, ist, wann die nächste Rate für ihren Fernsehapparat fällig wird. Ihr werdet es nicht glauben. aber ich kann es kaum erwarten, eine von diesen Frauen zu werden.«
    Eliav preßte seine verkrampften Hände gegen seinen Körper. Voller Schmerz fragte er: »Und für ein derart leeres Dasein würdest du das Judentum aufgeben? Für die Fleischtöpfe Ägyptens in rostfreiem Stahl?«
    »Hör auf«, rief Vered und schlug mit den Handflächen auf den Tisch. »Hör auf, mir diese alten, abgedroschenen Phrasen vorzuhalten. Ich führe hier einen klaren, wohldurchdachten Grund an, und du quasselst nur nach, was schon wortreiche
    Juden seit Moses Zeiten gequasselt haben. Die Fleischtöpfe Ägyptens. Ich weigere mich, das noch länger anzuhören.« Sie hob abwehrend die Hände und hielt sich dann die Ohren zu. »Ich lehne es ab, mich für den Rest meines Lebens zu erinnern. Ich will mich nicht länger erinnern.«
    Eliav, der seine Bitterkeit wieder in der Gewalt hatte, sagte nur: »Deine nichtjüdischen Nachbarn in Illinois werden sich statt deiner erinnern.« Und damit begann ein scharfes Zwiegespräch zwischen dem Israeli Eliav und dem Amerikaner Zodman.
    ISRAELI: Glaubt Vered denn wirklich, daß sie durch eine Auswanderung

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