Die Quelle
Ölbäume. Gegenwärtig aber quälte ihn eine zehrende Sorge. Mit kummervoller Stirn schritt er eilig von seinem Haus zu dem erhöhten Platz, wo dem Tempel gegenüber die Monolithen standen. Denn von dem, was er jetzt gleich vorhatte, hing sein Glück im ganzen nächsten Jahr ab. Die Straße, die an Urbaals Haus vorbeiführte, zog sich nicht etwa eindrucksvoll vom Haupttor zum Tempelbezirk hin - das hätte ja einen geplanten Straßen- und Städtebau vorausgesetzt, den es noch nicht gab. Vielmehr wand und winkelte sie sich ganz willkürlich wie ein aufs Geratewohl ausgetretener dörflicher Pfad, der sie einst auch gewesen war. Als der Bauer über das holprige Kopfpflaster schritt, nickten ihm einige Leute freundlich zu; er aber merkte es nicht über seinen ernsten Gedanken. Beim erhöhten Platz angelangt, ging er gemessen bis zum entferntesten Monolithen weiter, jenem Zeugen längst vergangener Tage, der nur noch wenig aus dem Boden ragte. Er verneigte sich vor ihm, küßte ihn viele Male und murmelte: »Dieses Jahr, großer El, laß mich es sein.« Dann ging er zu jedem der drei anderen Monolithen und sprach ähnliche Gebete: »Baal des Gewitters, laß mich dieses Jahr drankommen. Baal des Wassers, Baal der Sonne, um wenig habe ich Euch bisher gebeten.«
Urbaal überquerte den Platz und trat in den unordentlichen Laden Heths, des Hethiters, der mit Waren aus vielerlei Ländern handelte, und sagte zu dem bärtigen Mann, der neben seinen Tuchballen stand: »Dieses Jahr muß die Wahl auf mich fallen. Was soll ich tun?«
»Warum fragst du nicht die Priester?« wich Heth aus.
»Bei denen habe ich schon alles versucht«, antwortete Urbaal und tat, als betrachte er einen dicken Tonkrug aus Tyros.
»Ich kann dir nur raten: Denk an nichts als an deine Pflanzungen«, sagte Heth. Er blickte den bekümmerten Mann an und setzte langsam hinzu: »Und kaufe dir die beste Astarte, die du finden kannst.«
Gerade einen solchen Rat hatte Urbaal erhofft. Er wandte sich von dem Töpferkram weg und flüsterte nah am Gesicht des Hethiters: »Ob das wirklich hilft?«
»Dadurch hat Amalek vergangenes Jahr gewonnen«, versicherte der Kaufmann. »Ich habe aber schon drei«, wehrte sich Urbaal.
»Bei deinen vielen Bäumen! Sind drei da genug?« Der schlaue Händler strich sich den Bart und sah den reichen Bauern lauernd an.
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, gestand Urbaal. Vor sich hin murmelnd ging er unruhig in dem kleinen Laden auf und ab. Dann schüttelte er wie ein bettelndes Kind Heths Arm: »Du glaubst im Ernst, es wird nützen?« Statt zu antworten, holte Heth aus einem Winkel eine kleine Tonfigur der Göttin.
Sie war noch nicht spannenlang, sehr weiblich mit ihren breiten Hüften, sehr sinnlich und üppig. Ihre Hände hielt sie unter die kreisrunden Brüste. Es mußte wunderbar beruhigend sein, diese Göttin in der Nähe zu haben und immer betrachten zu können. Der Händler, offensichtlich stolz auf die Figur, verlangte bestimmt einen hohen Preis.
Für Urbaal war diese Statuette mehr als ein Klümpchen geschickt geformten Tons, mehr als ein lebloser Kultgegenstand. Ihm bedeutete sie die wahrhaftige Astarte selbst, die Göttin, die über die Fruchtbarkeit des Landes, der Weiber und der Ölbäume gebot. Ohne ihre Hilfe war er machtlos. Er konnte zum Baal des Wassers und zum Sonnenbaal beten; sie schickten Regen und Wärme, wie es nötig war. Doch wenn Astarte zürnte, gaben die Oliven kein Öl, und falls sie ihm nicht lächelte, vermochte er in diesem Jahr nicht zu gewinnen.
Er verehrte Astarte leidenschaftlich. Andere fürchteten ihre Launenhaftigkeit - in einem Jahr Hungersnot, im nächsten Überfluß -, er aber hatte gelernt, sich auf ihre Willkür einzustellen. Er diente ihr getreulich, und sie vergalt es ihm, indem sie sich ihm wohlwollend zeigte, wie schon zuvor seinen Vätern. Urbaals Felder, Ölbäume und Bienenstöcke gediehen selbst dann, wenn der Ertrag bei den anderen dahinschwand - weil zwischen ihm und Astarte gutes Einvernehmen bestand.
»Die Astarte, die du mir im vergangenen Jahr verkauft hast, war mir gut gesinnt«, überlegte der Bauer laut, während er die neue Göttin betrachtete. »Drei Jahre ist es dir nicht gelungen, Timna zu schwängern«, bemerkte Heth. »Aber durch die richtige Astarte.«
»Ich nehme sie«, entschied der Bauer. »Was kostet sie?«
»Sieben Gur Gerste und sieben Gur Weizen.«
Urbaal hatte schon geahnt, daß er einen hohen Preis werde zahlen müssen, aber nun rechnete er
Weitere Kostenlose Bücher