Die Quelle
wieder Friede, kamen außer denen, die hatten fliehen können, andere Menschen hierher und bauten die Stadt neu auf. So erklärte sich, daß man in Makor den unterschiedlichsten Menschen begegnen konnte. Da gab es hochgewachsene, schlanke Kanaaniter mit sonnenverbrannter Haut, blauen Augen, kleinen Nasen und wohlgeformtem Kinn; Schwarze, die aus Afrika zugewandert waren; von Norden gekommene Hethiter, dunkelhäutig und stämmig mit breiten, krummen Nasen; von Süden, aus der Wüste, hierher gezogene schmächtige, vogelgesichtige Menschen, die sich Churriter nannten. Sogar einige Angehörige der Seevölker waren im Lande geblieben, kräftige Männer mit breitem Brustkorb; sie waren die Vorfahren der Phönizier. Alle lebten in einem selbstverständlichen Nebeneinander und fanden ihren Unterhalt recht und schlecht, wie es jeweils möglich war. In dieser Zeit der Unsicherheit war wenigstens eines sicher: Es gab keinen Streit mehr um den Glauben.
Die Welt, darüber war man sich einig, wurde von drei wohlgesinnten Gottheiten regiert, von der des Gewitters, des Wassers und der Sonne; jeder dieser drei Götter war auf dem erhöhten Platz in der Mitte der Stadt durch einen Monolithen dargestellt. Aber da stand noch ein vierter Stein in der feierlichen Reihe gegenüber dem Tempel. Heiliger als die anderen, ragte er mit einer im Laufe der Jahrtausende durch die Verwitterung gerundeten Spitze nur noch wenig aus dem Erdreich, das sich in der gleichen Zeit angehäuft hatte. Weil er einem männlichen Glied ähnelte, wurde er als Vater aller Götter verehrt. El nannte man ihn. So unansehnlich der Stein im Vergleich mit den anderen hochragenden Monolithen wirkte - so, als sei dieser Gott alt und verbraucht -, wurde er doch als starke Macht, ja als Ursprung aller Macht verehrt: als Gott El. Neben diesen höchsten Göttern gab es eine Vielzahl anderer, denen kein Monolith auf dem erhöhten Platz errichtet war, zu denen man aber täglich betete: Götter der Bäume, der Flüsse, des Wadi, der Vögel, des reifenden Korns, hauptsächlich aber Götter für alles, was in der Landschaft hervorragte.
So hatte der Hügel hinter der Stadt seinen Gott und der Berg hinter dem Hügel den seinen. Baal nannte man die Götter, »Herr«, und jeder Baal, ob klein oder groß, wurde auf seine Weise verehrt. Eine Gottheit aber war den Bürgern von Makor besonders teuer, Astarte, die verführerische, schönbrüstige Göttin der Fruchtbarkeit. Sie brachte das Korn zum Reifen und die Kuh zum Kalben, sie ließ die Hühner nisten und die Frauen gebären. Deshalb stand die lächelnde kleine Astarte den Bauern von Makor unter allen Göttern am nächsten, denn ohne ihr Zutun konnte nichts geschehen, was zum Kreislauf des Lebens gehörte.
Im großen und ganzen hatten die Götter sich als freundlich und hilfreich erwiesen; wohl war Makor zweimal zerstört, aber bald wiederaufgebaut worden, und unter Astartes Schutz gediehen die Felder. Nur wenige Familien konnten sich rühmen: »Schon unsere Eltern und Ureltern haben in Makor gelebt«, denn die meisten waren erst neuerlich zugezogen. Westlich des Haupttores jedoch wohnte in einem weitläufigen, mit der Rückseite bis dicht an die Mauer reichenden Haus aus Lehmziegeln ein Mann, dessen Vorfahren es immer wieder verstanden hatten, Krieg und Gemetzel zu überleben. Galt es, Mut zu beweisen, so waren die Männer dieser unverwüstlichen
Sippe die ersten, die mit ihrem Speer auf der Mauer standen. Sobald sie aber merkten, daß eine Niederlage bevorstand, waren sie auch die ersten, die in einem sicheren Versteck das Ende des Mordens und Brennens abwarteten. Erst dann kehrten sie wieder zu ihren Ölbaumhainen und Weizenfeldern zurück, die sich immer weiter ausdehnten.
Ein Sproß dieser lebenstüchtigen Sippe war der sechsunddreißig Jahre alte Bauer Urbaal, ein Abkömmling des großen Ur, dessen Familie den Weizenanbau eingeführt und jenen Monolithen errichtet hatte, der jetzt Gott El hieß. Urbaal war derb und kräftig, wie ein Bauer es mit der Zeit wird; seine starken Zähne blitzten, wenn er lachte. Er war nicht, wie so mancher seiner Altersgenossen, kahl, und neigte auch nicht zur Fettleibigkeit. Im Krieg hatte er sich als wackerer Kämpfer erwiesen, im Frieden als tüchtiger Landmann. Freundlich zu seinen Frauen, ausgelassen mit seinen Kindern und gütig zu seinen Sklaven, hätte er König oder Hoherpriester sein können, doch seine Liebe galt der Landwirtschaft, den Weibern und dem Wachsen des Korns und der
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