Die Quelle
siebenhundert Menschen bevölkerten die gewundenen Straßen. Sie trieben Handel, hielten Vieh und bestellten die Felder südlich der Stadt. Von allem, was sich verändert hatte, war am auffallendsten die große Mauer rund um die Siedlung, durch die sie gegen alle Feinde, auch die entschlossensten, geschützt wurde. Errichtet hatte die Mauer um das Jahr 3500 v. Chr. ein Volk, dessen Name längst vergessen war. Damals war es darum gegangen, einen Schutz für die Wohnstätten zu finden oder unterzugehen. So hatte dieses Volk eine Mauer errichtet, fast doppelt mannshoch und zwei Armlängen dick, aufgeführt aus unbearbeiteten Felsblöcken, die ohne Mörtel locker aufeinandergetürmt waren. Aus der Entfernung mochte es dem Feind scheinen, als könne er an jeder beliebigen Stelle leicht Bresche schlagen in diese Mauer. Kam er aber nahe genug heran, so mußte er feststellen, daß die Verteidiger unmittelbar an der Innenseite der steinernen Mauer eine zweite gebaut hatten, aus gestampfter Erde, vier Armlängen dick, und innen belegt nochmals mit einer Steinschicht von einer Armlänge Dicke, so daß jeder, der diesen Schutz durchbrechen wollte, sich seinen Weg durch Fels, Erde und abermals Fels, insgesamt sieben Armlängen dick, hacken mußte - ein nahezu aussichtsloses Unternehmen.
In den tausenddreihundert Jahren, die vergangen waren, seit die Mauer stand, war die Stadt achtundsechzigmal berannt worden - im Durchschnitt alle neunzehn Jahre einmal -, von Hethitern und Amoritern aus dem Norden, von Sumerern und Akkadern aus dem Land der Zwei Ströme, und von Ägyptern, die von Süden her gekommen waren, vom Nil. Auch die Vorläufer der Seevölker, die den Hafen von Akka räuberisch überfallen hatten, waren vor Makor erschienen und hatten versucht, die Stadt zu stürmen. Von all diesen Belagerungen waren lediglich neun erfolgreich gewesen. Und in den letzten Jahrhunderten hatte der Feind die Stadt nur zweimal völlig zerstören - das heißt bis auf den Grund niederbrennen und völlig verwüstet zurücklassen - können. Damit hatte Makor mehr Glück gehabt als manche seiner größeren Nachbarstädte, darunter Hazor und Megiddo. Makor war vor allem Ackerbaustadt; aus dem Überfluß seiner reichen Felder wurden handwerkliche Güter eingetauscht. In den letzten Jahrhunderten hatten Karawanen regelmäßig ihren Weg von Akka nach der Binnenstadt Damaskus über Makor genommen und fremdländische Waren mitgebracht: Obsidianmesser aus Ägypten, getrockneten Fisch aus Kreta und Zypern, Stapel von Bauholz aus Tyros und Stoffe aus den Webereien östlich Damaskus. Ein König war Herr über Makor und seinen Reichtum. Ein König - das mag uns heute merkwürdig klingen. Wie klein seine Macht wirklich war, zeigt ein Geschehnis des Jahres 2280 v. Chr.: Die Nachbarstadt Hazor war in Not und bat um Hilfe. Der König von Makor schickte daraufhin der bedrohten Stadt eine Truppe von neun Mann. Daß eine Stadt mit nur siebenhundert Einwohnern von einem König regiert wurde, war in jenen Zeiten nichts Ungewöhnliches, denn siebenhundert Menschen an einem Ort, das bedeutete schon eine recht ansehnliche Zahl. Die benachbarten unbewehrten Dörfer, die im Herrschaftsbereich des Königs lagen, bildeten mit Makor eine wirtschaftliche Einheit. Nie gehörte Makor längere Zeit zu einem der großen Reiche; im Wechsel der Jahrhunderte war es eine Zeitlang von Ägypten, dann von Herrschern Mesopotamiens unterjocht worden. Meist erfreute es sich, wie die größeren Städte Hazor, Akka und Damaskus, einer in Ebbe und Flut der Geschichte mehr oder weniger eingeschränkten Selbständigkeit. In einem Zeitalter heftiger Umwälzungen und mächtiger Großreiche konnte Makor sich nur deshalb halten, weil es eine kleinere Niederlassung an der wichtigen Straße war, die Ägypten, längst das Land der Pyramiden, mit Mesopotamien verband, das bereits seine Zikkurrats erbaut hatte. Militärisch war Makor ohne Bedeutung. Die Stadt konnte mühelos umgangen werden, was meist auch geschah. Waren aber die großen Schlachten andernorts entschieden worden, dann schickten die siegreichen Heerführer gewöhnlich Truppen nach Makor, um der Stadt deutlich zu machen, wer ihr neuer Herr war.
Wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen die Zerstörung Makors erforderlich machten, ging man mit der Bevölkerung rücksichtslos um: Alle gefangenen Männer wurden niedergemetzelt, die Weiber vergewaltigt und in die Frauenhäuser verschleppt, die Kinder in die Sklaverei abgeführt. War dann
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