Die Quelle
er sich. Aber auch Urbaal stand unsicher herum. Joktan schickte seine Söhne fort mit der Weisung, sich um die Esel zu kümmern, und wartete. Schließlich kam Urbaal zögernd zu ihm und sagte: »Ich habe keine Heimat.«
»Aber wenn dies dein Feld ist.«
»Und das ist meine Stadt.« Urbaal führte Joktan zum Rande des Feldes. Von dort aus erblickte der Habiru zum erstenmal die Mauern von Makor, die Stadt hinter den Mauern, ihre verheißungsvoll leuchtenden weißen Dächer, und im Norden dahinter die Berge, die sie beschützten. Bisher hatte Joktan nichts gekannt als die öden Weiten der Wüste. Der Anblick der Stadt war für ihn so überwältigend, daß er zunächst kein Wort zu sagen vermochte. Doch dann rief er seine Kinder herbei.
Sie stellten sich neben ihn und sahen stumm zur Stadt und auf ihr neues Land. Es war, als reiche der Schatten Makors weit über die Felder bis her zu ihnen und erfasse sie. Joktan aber war ein kluger Mann. Er wandte sich an Urbaal: »Da dieser schöne Ort deine Stadt, aber nicht länger deine Heimat ist, und da du die Straße allein gekommen bist. hast du einen Mann getötet?«
»Ja.«
Joktan sah Urbaal an, sagte aber nichts. Er blieb in der Sonne stehen und ging mit sich zu Rate - ein Mann, der gewissenhaft prüfte, was zu tun sei. Immer noch schweigend ging er dann allein zu einer Stelle unter den riesigen Eichen, wo die Seinen bereits aus zusammengelesenen Steinen einen einfachen Altar errichtet hatten. Stehend betete er hier. Was er sprach, konnte Urbaal nicht vernehmen. Als Joktan sein Gebet beendet hatte, ging er zu Urbaal und sagte: »Du darfst nicht bei uns bleiben. Aber ich gebe dir einen Esel, damit du nach Osten entkommen kannst.«
Urbaal schüttelte den Kopf. »Dies ist mein Land. Ich will nicht fort von hier.« Joktan hatte Verständnis für diesen Entschluß. So sprach er weiter mit dem Flüchtigen, und schließlich erklärte der Habiru dem Mörder, daß ihm beim Altar Schutz gewährt sei. Dann rief Joktan seine Weiber und seine Söhne und die Männer seiner Töchter zusammen und bereitete sie darauf vor, daß bald Krieger auf der Suche nach diesem Mörder aus Makor kommen würden - die erste Auseinandersetzung im neuen Land stehe bevor. Die Männer berieten sich miteinander, teilten aber Urbaal nicht mit, was sie beschlossen hatten. Der ging zum Altar unter der Eiche. Hier blieb er, in tiefes Nachsinnen versunken über sein Unglück. An diesem Tag kamen keine Krieger aus Makor. Aber bei den Ölbäumen lief eine Frau angstvoll umher. Sie suchte ihren Mann. Da sie ihn nicht fand, eilte sie weiter, den Karawanenweg entlang, der nach Damaskus führte. Und da sah sie plötzlich etwas ihr gänzlich Ungewohntes: Zelte. Und die waren auf dem Feld ihres Mannes aufgeschlagen! Sie rannte über die Weizenstoppeln und rief: »Urbaal! Urbaal!« Als sie ihn neben dem Altar kauern sah, lief sie zu ihm, warf sich zu
Boden und küßte seine Füße. Hastig erzählte sie, daß die Priester nicht vor dem nächsten Morgen Krieger losschicken würden, in der Annahme, daß er dann schon weit nach Osten geflüchtet sei, wo man von seinem Verbrechen nichts wußte. Sofort mit ihm aufbrechen wollte sie - eine schwangere Frau mit nichts als einem Paar Sandalen. Er aber entgegnete hartnäckig: »Das ist mein Land«, und weder sie noch Joktan konnten ihn zur Flucht bewegen.
Die Sonne ging unter. Eine seltsame Nacht folgte. Urbaal, plötzlich ein alter, verstörter Mann geworden, drängte sich an das Heiligtum. Timna sprach mit den Fremden und erklärte ihnen, wie ihr Mann, einst ein ehrlicher Bauer, sich durch sinnlose Handlungen selbst vernichtet hatte, verschwieg aber nicht, daß sie es gewesen war, die Urbaals Astarten zerschlagen und vergraben hatte. »Du nimmst viel Schuld auf dich«, sagte Joktan.
»Wir alle sind schuldig«, flüsterte sie.
»Und doch war es ohne Zweifel am Ende seine Schuld«, entgegnete Joktan. »Er war verzaubert«, sagte sie. Im Licht des Lagerfeuers blickte sie in tiefem Mitleid auf ihren Mann. »In einer anderen Stadt, in einer anderen Zeit wäre er als glücklicher Mensch gestorben.« Und sie weinte über das gnadenlose Schicksal, das über ihn gekommen war.
Im Morgengrauen ging Joktan zum Altar, um dort allein zu beten. Als er zurückkehrte, fragte Timna: »Zu welchem Gott betest du?« Er antwortete: »Zu dem Einen Gott.« Aufmerkend sah sie ihm ins Gesicht.
Als die Sonne aufgegangen war, marschierte das Heer von Makor aus der Stadt, achtzehn Krieger und ein
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